Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
Siedlung hell erleuchtet hat. Zum Glück hat irrtümlich kein Flugzeug unser Haus als Start- und Landeplatz missbraucht, die Lichtflut hätte dafür aber sicherlich allemal ausgereicht!)
Ein Blick auf die Vorderfront meines Elternhauses. Nein, nein, nein! Wann haben denn diese beiden Irren heuer mit der Installation der Beleuchtung begonnen? (Ich schätze im Hochsommer.)
»Hallo, Amelie!«, ruft mir meine Mutter vom Küchenfenster aus zu. »Komm doch rein, der Glühmost ist gerade eben fertig geworden.«
»Na, dann plagt euch mal schön weiter«, frotzle ich salopp in Richtung der beiden Männer.
»Sag deiner Mutter, sie soll uns bitte auch zwei Tassen einschenken. Wir sind hier bald fertig und kommen dann nach.«
Alle Verwandten und Bekannten sind in der Küche versammelt. Unsere Küche ist gewiss nicht klein, aber heute ist sie zum Bersten voll. Die Tischenden sind auf ihr äußerstes Maß ausgezogen und bieten nun allen erwachsenen Gästen Platz. (Die schießwütigen Radaubrüder und –schwestern meiner Anverwandten machen sich ja gottlob momentan noch im Garten zu schaffen.)
Da sitzen sie also, alle die ausnahmslos unter die Kategorie Unter die Haube gebracht einzuordnen sind. Von der simulierten Friede-Freude-Eierkuchenstimmung ist die gesamte Küche eingefasst. Auf der einen Seite platzen Händchen haltende Pärchen, die voller Stolz von der Leichtigkeit des Windelwechselns, der völlig unkomplizierten Kindererziehung und des partnerschaftlichen Miteinanders plaudern, und auf der anderen Seite blicke ich in nickende Gesichter, die sich voll und ganz mit diesen dargebotenen Happy Familys identifizieren können und wollen.
Vorn weg wäre da meine Cousine Edith, deren Gehirnwindungen sich ausschließlich mit Esoterik-, Bio- und Grün-Alternativ-Programmen befassen, zu erwähnen. Nebenan sitzt ihr Anhängsel, ein totaler Flop von einem Mann, namens Friedrich. Er hört ihr aufmerksam zu und bestätigt freundlich lächelnd und stets bejahend Ediths Aussagen. (Dieser Waschlappen kann abends sicherlich lange Zeit keinen Schlaf finden, denn sein Kopf braucht gewiss Stunden, um auszunicken.) Nicht vergessen sollte ich hierbei die Frucht ihrer ausgeglichenen Liebe: Isidor, den Spross dieser besonnenen Vereinigung.
Dann platzen hier noch Kirsten und Gunther. Sie sind auch eines dieser albtraumbehafteten Vorzeigeehepaare. Ihre beiden Vorzeigemädchen Melanie und Clementine sind ebenfalls erwähnenswert. Letztere dürfen selbstverständlich nie mit ihren rüschenbestickten Kleidern außerhalb der Kinderzone spielen. Sie sehen dabei allezeit tadellos und völlig steril aus. Die armen Scheißer dürfen sich weder im Sandkasten noch auf dem unhygienischen Erdboden austoben. Dreck ist im Hause Kirsten & Gunther so verpönt, dass man meinen könnte, wer ihnen welchen ins keimfreie Domizil schleift, der muss mutmaßlich mit einer Anzeige wegen Beschmutzung und Verbreitung von Bakterien rechnen. (Deswegen empfangen die beiden nach Möglichkeit bei sich zu Hause nieee Besucher. Sie kommen stattdessen lieber zu uns!)
Weiters sind noch Paula und Rene bei uns zu Gast. Für meinen Geschmack sind die beiden die Normalsten in unserem exquisiten Clan. Die streiten sich auch mal öffentlich, wenn es sein muss. Gerade das macht sie für mich so human und sympathisch. Ihre kleine Agnes ist auch ohne Sterilität gut gelungen und darf im Hochsommer sogar barfuß in der Wiese herumtollen (bestimmt ein extrem widerwärtiger Gedanke für Kirsten & Gunther).
Zu guter Letzt sitzt noch Manfred am Tisch. Er ist der Einzige, der nicht sein feiertägliches, breitmäuliges Grinsen aufgesetzt hat. Er starrt in seine Punschtasse hinein, als ob er sie beschwören wollte. Nun, der war schon immer ein komischer Kauz. Aber wo hat er seine angebetete Lotte versteckt – seinen Sonnenschein, seinen Lebensinhalt, sein »Ein und Alles« – wie er sie immer zu nennen pflegt? Bei Klein-Fritzchen wird sie vermutlich nicht stecken, dafür ist ihr Mutterinstinkt zu wenig ausgeprägt.
Lotte ist eine typische Businessfrau und eine atypische Hausfrau und Mutter. Sie kann ohne ihren Organizer keinen Schritt vor die Tür machen. Jede Sekunde ihres Tages ist penibel durchgeplant. Sie hat sich sogar die Geburt präzise einleiten lassen, um nur ja zur Jahreshauptversammlung ihrer Firma wieder topfit und schlank in Erscheinung treten zu können. Und ihr lieber Manfred (wie die beiden zueinandergefunden haben, ist mir seither ein absolutes Rätsel) ist unterdessen
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