Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
zum Hausmann abkommandiert worden. Er kocht, putzt, bügelt, besorgt die Einkäufe und kümmert sich um die Erziehung des Jungsprosses. Lotte tritt stets in maßgeschneiderten, eleganten Kostümen auf, spricht übertrieben »Schön«, ist rundum perfekt und adrett gestylt, und begibt sich einmal in der Woche zur Runderneuerung in einen exklusiven Schönheitssalon. Kurzum: Die beiden Eheleute haben die Berufe (was nicht so schrecklich wäre) und (was immens schlimm ist) die hauseigenen Gene getauscht!
Nachdem ich meine Begrüßungsrunde artig absolviert habe, grapsche ich mir meine Tasse Glühmost und stürze mich voller Zuversicht auf die riesige Keksauswahl, bis mich meine Mutter – wie jedes Jahr – in die Schranken weist:
»Iss bloß nicht zu viele Kekse vor dem Abendessen. Du verdirbst dir sonst den Magen und den Appetit auf die köstliche Weihnachtsgans.«
Solche Aussagen animieren einem ja schier dazu, alle überzuckerten, kalorienhaltigen Backwerke auf einmal hinunterzuwürgen. (Nun, ich war diesbezüglich schon immer ein aufsässiges Kind.)
Das Tischgespräch ist für meine Wenigkeit (sprich Noch-Single!) einfach nur langweilig und öd. Den Höhepunkt stellt schließlich Ediths fruchtbare – oder furchtbare! - Ankündigung »Ich bin wieder schwanger« dar!
Anmerkung am Rande: Bitte verschone mich jetzt und heute mit den Einzelheiten der natürlichen Geburt! Mir ist von ihrer letzten, detailgetreuen Schilderung noch speiübel.
Nun, so ein Glück aber auch! Dann ist also ein weiterer Esoterikfreak unterwegs.
Lotte ist bislang noch immer nicht aufgetaucht und ich beschäftige mich mittlerweile schon mit meiner zweiten Tasse Most. Wo steckt sie nur? Na ja, vielleicht hat ihr Weihnachten nicht ins geschäftliche Konzept gepasst und sie schaut nur kurz zur Bescherung vorbei.
»Kinder, der Kakao ist fertig!«, ruft meine Mutter zum Küchenfenster hinaus. »Beeilt euch und kommt rein! 33 Und vergesst nicht, die Schuhe im Flur auszuziehen!«
Zwei Minuten später finden sich alle rotzverschnieften Kinder in sämtlichen Altersgruppen und Größen in der Küche ein. Die Muttis und Manfred stürzen sich instinktiv auf ihre Brut und entblättern die wattierten Sprösslinge. Die triefenden Skianzüge, Schals, Fäustlinge und Quastelhauben werden dabei schleunigst auf einen Haufen gepackt und rasch ins Badezimmer verfrachtet.
»Mami, dürfen wir auf den Schafen reiten?«, fragt Klein-Agnes aufgeregt.
»Nein, Schätzchen, Schafe sind keine Reittiere«, erklärt ihr Paula geduldig.
»Aber der Esel ist mir zu hoch«, erwidert Agnes ernst.
An dieser Stelle erfolgt jetzt eine Belehrung über Reit- und Zuchttiere, Hammel, Lämmchen, Rinder ... ach, ich habe mich bei den Ferkeln ausgeklickt. Oh, nun habe ich aber augenblicklich etwas Interessantes
aufgeschnappt:
»Wann kommt denn meine Mami?«, will Fritzchen wissen.
»Ich weiß es leider nicht«, antwortet ihm Manfred.
»Aber warum weißt du das nicht, Papi?«
»Fritzchen, komm ein bisschen zu Tante Lydia.«
Währenddessen Fritzchen gehorsam zu seiner Tante schlürft, stürmt Manfred unbeherrscht aus der Küche.
Was war denn das gerade? Mein verdutzter Gesichtsausdruck scheint Bände zu sprechen, denn meine Mutter visiert mich schnurstracks an und zieht mich sanft in den Flur.
»Lotte ist weg!«, flüstert sie mir zu. »Sie hat vorgestern ihre Sachen gepackt und ist danach einfach zur Tür hinaus verschwunden.«
»Oh! Und warum ist sie abgehauen?«
»Sie hat offenbar jemanden kennengelernt, Genaueres wissen wir auch noch nicht. Manfred ist gestern total aufgelöst bei uns angekommen. Ich meine, sieh ihn dir an. Er wirkt nicht gerade wie das blühende Leben, nicht wahr?«
»Und, wo hat sie diesen Unbekannten kennengelernt?«
»Anscheinend auf einer Dienstreise, aber mehr konnten wir aus Manfred noch nicht herausbekommen.«
»Tja, ehrlich gesagt, wundert’s mich nicht!«
»Schhh ... Es ist Weihnachten, vergiss das nicht«, flüstert mir meine Mutter mahnend zu.
»Ja, das Fest der Liebe, der Familie und der Neuaufstellung der Familienchronik.«
»Mach keine geschmacklosen Witze! Manfred ist in Not und seine Familie wird ihm helfen.«
»Natürlich«, gebe ich klein bei.
»Aber nun zu dir«, schwenkt meine Mutter blitzschnell um. »Hattest du viel Arbeit? Was gibt es Neues?«
»Ja, die letzten Wochen waren stressig, aber ich hab’s überlebt!«
»Und sonst?«
»Alles beim Alten«, teile ich ihr mit und zucke gleichgültig mit den
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