Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
lässt sich unschwer erkennen, dass der Familienclan schon zahlreich vertreten ist.
Tante Lydia und Onkel Toni sind bestimmt seit den Morgenstunden in unserem Haus zugegen. Mein Onkel ist zur Weihnachtszeit meines Vaters Hilfsarbeiter - im übertragenen Sinn. Die beiden setzen in unserer Siedlung jedes Jahr neue Maßstäbe in Sachen Weihnachts-SchnickSchnack-Befestigung. Sie buhlen mit unseren Nachbarn um die Vorherrschaft des alljährlichen Lichtermeers, um die Originalität des weihnachtlich geschmückten Domizils und um den dazugehörigen Garten.
Da Onkel Toni und Tante Lydia vor Jahren, als ihre Kinder dem geräumigen Elternhaus entwachsen waren, einer schicken kleinen Wohnung dem Vorzug gaben, konnte er sich demzufolge leider nirgendwo so sehr austoben wie hier bei uns und unserem Garten - zur Freude unseres Familienoberhaupts.
Meine Cousinen und Vetternsind auch eingetroffen. Zum Leidwesen meiner Mutter sind die vier Kinder ihrer Schwester allesamt verliebt, verlobt, verheiratet und haben fleißig Nachwuchs in die Welt gesetzt.
Gleich nachdem die schneemannbauende Mischpoche meinen Mucki ausgemacht hat, schießen unzählige Schneebälle auf uns nieder. Freche Rotzkinder!
Nun ja, ich wollte, da heuer scheinbar jeder mit seinem eigenen Wagen angereist ist, ohnehin um die Ecke parken.
Nachdem ich mein Muckilein sicher untergebracht habe, schleppe ich die Päckchen, meine Reisetasche und meine Handtasche zur Hintertür, als ...
Määäh ... määäh ... was ist denn das? Ich blicke mich sofort verstohlen um. Määäh ... määäh ... da ist dieses Geräusch schon wieder! Hört sich an wie ein Schaf. Wer von unseren hirnverbrannten Nachbarn hat sich hier eine Schafzucht zugelegt? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Idioten!
Iah ... iah ... also ich glaube, ich spinne! Das war doch eben eindeutig ein Esel! Ich muss unbedingt meinen Kram loswerden und herausfinden, wer hier in der Nähe einen kunterbunten Bauernhof eingerichtet hat.
Ich entledige mich rasch von meiner Päckchenansammlung und von meinen Taschen; diese sind nach wenigen Sekunden im hinteren Flur sicher quartiert. Im Anschluss mache ich mich auf die Suche nach dem määähenden und iaaahenden Zoo.
Aha, die Geräuschkulisse kommt anscheinend von den beschränkten Millers. (Na, das hätte ich mir ja gleich denken können. Nur DIE können so dermaßen größenwahnsinnig sein!) Ich luge verstohlen um die Ecke zum Nachbarsgrundstück. Immergrünes Gestrüpp verstellt mir allerdings die Sicht. Von den Millers keine Spur, dafür vernehme ich nun die Stimmen der einheimischen Schmückraudis.
»Na, komm schon, altes Mädchen!«, höre ich meinen Vater plaudern. »Noch einen Schritt! Störrisches Vieh! Ich zieh’ vorn am Halfter und du schiebst sie hinten an. Und, los!«
Hier stehen sie: Drei Schafe (auf jeweils vier Haxen), ein störrisches Grautier (ebenfalls auf vier Haxen) und zwei Idioten (auf jeweils zwei Haxen), die zugleich – ich würde es momentan leugnen – meine Blutsverwandten sind.
»Ach, hallo, Amelie! Du kommst genau richtig. Sei so nett und schieb mit Onkel Toni Rosalindes Hinterteil an.«
»Fröhliche Weihnachten!«, erwidere ich auf die sicherlich nicht ernsthaft gemeinte Aufforderung.
»O das wünsche ich dir auch, Liebes, aber nun sei so gut und hilf uns ein wenig beim Anschieben, ja!«
»Ich denke nicht daran. Die armen Viecher. Wo habt ihr die überhaupt her?«
»Ist ’ne Leihgabe vom Rittbauer. Er hat sie vor einer Stunde geliefert und holt sie übermorgen wieder ab«, erklärt mir mein Vater.
»Ist das nicht eine grandiose Idee?«, unterbricht ihn nun Onkel Toni. »Niemand in der gesamten Gegend hat eine lebendige Krippe im Garten.«
»Ihr solltet euch einmal ernsthaft fragen, warum das so ist«, werfe ich sarkastisch ein.
»Ach, nun lass uns doch die Freude! Wie gefällt sie dir?«
Unsere Gartenlaube ist als solche komplett entehrt worden und dient nun drei Schafen und einem Esel als Unterschlupf. Auf dem schmalen Schindeldach haben die beiden Baumeister eine breite Lichterkette, die einen Schweifstern symbolisierte, angebracht.
Apropos Lichterkette! Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimt in mir auf.Wenn sich die beiden bereits hier dermaßen ausgetobt hatten, dann hatten sie sicherlich keine Zeit, um das Haus mit allen zu erwerbenden Lichterketten der Stadt zu versorgen. (Sie müssen wissen, dass ich letztes Jahr kein Auge zugetan habe, da das im Außenbereich unseres Hauses angebrachte Lämpchenmeer die ganze
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