Halo - Tochter der Freiheit
war Furcht: Alle Männer fürchteten sich davor, dass ihnen die Frauen weggenommen würden, deshalb kämpften sie, um sie zu schützen. Und deshalb mussten die Frauen zu Hause bleiben. Darüber hatte sie auch mit Aspasia gesprochen, doch Aspasia hatte gelacht und gemeint: »Den Mann möchte ich sehen, der stark genug ist, ein Kind zu gebären.«
Inzwischen schwirrte ihr der Kopf von all den Gedanken, die Perikles’ Rede bei ihr ausgelöst hatte.
»Manchmal frage ich mich«, sagte sie zu Arko, als sie nach der Trauerfeier nach Hause gingen, »ob jemand mal den Mut hat, Perikles und den Athenern zu erklären, dass ihr ganzes Gerede zwar ganz wunderbar klingt, aber eigentlich nicht stimmt …«
»Warum – wegen der Sklaven?«, fragte Arko.
»Nicht nur! Sondern auch wegen der Frauen! Alles, was er heute gesagt hat, gilt doch nur für einen kleinen Teil der Athener! Dass sich jeder Athener um das Vaterland verdient machen könne und dass man sich nicht von einer Minderheit beherrschen lassen müsse … das stimmt doch nur, wenn du erwachsen bist, ein Athener Bürger, ein Mann und ein freier Mensch. Selbst wenn ich ein Junge wäre, ich würde nie in der Form alle Freiheiten haben, wie Perikles es meint, weil meine Mutter eine Fremde war.«
Arko ging langsam neben ihr her, seine Hufe klapperten auf den Pflastersteinen.
»Aber die Menschen sind hier sehr viel freier als anderswo«, sagte er milde.
»Das stimmt wohl«, gab sie zu. »Aber das liegt zum größten Teil daran, weil sie andere Menschen unterworfen haben und ihnen ständig Geld abnehmen. Die Völker und Stämme, die sie unterworfen haben, sind schließlich nicht frei, oder?«
Arko lachte. »Sag das nicht zu laut«, mahnte er. »Die Leute werden sonst denken, du stehst auf der Seite der Spartaner.«
»Stimmt doch gar nicht!«, rief Halo aus und schlug ihrem Stiefbruder kräftig auf die Flanke – das Gute an Arko war, dass man ihn schlagen konnte, so hart man wollte, denn er spürte es kaum. »Ich wünschte nur, sie würden ein bisschen freizügiger mit ihrer Freiheit umgehen.«
»Eines Winterabends stellte Aspasia mal wieder Halo die unangenehme Frage, obwohl sie die Antwort längst kannte: »Halo, hast du schon mit Perikles gesprochen?«
»Nein«, gestand Halo beschämt. »Das weißt du doch.«
»Wirst du es ihm jemals sagen?«
»Ich kann ihn jetzt nicht damit belasten.«
Aspasia schwieg eine Weile. »Bisher waren die Umstände dafür nicht sehr günstig«, gab sie zu und schaute Halo liebevoll an. »Aber willst du denn ewig so weiterleben?«
Halo blickte auf. Sie wusste, was Aspasia meinte.
»Aspasia«, sagte sie, »ich kenne keine einzige Frau, die die Kranken heilen, Knochenbrüche richten oder Pfeile herausziehen kann. Erst wenn auch Frauen als Ärzte arbeiten können, will ich wieder eine Frau sein.«
Aspasia verzog das Gesicht, als wollte sie sagen: Na gut, du hast recht, doch dann meinte sie behutsam: »Als du hierherkamst, Halo, wolltest du herausfinden, wer du bist. Und du bist nun mal ein Mädchen, Halo, ob es dir passt oder nicht. Sogar jüngere Mädchen als du sind schon verheiratet, sind sogar schon Mütter … Wie soll dein zukünftiges Leben aussehen? Ich könnte einen Mann für dich suchen, du könntest dein Haar wachsen lassen, einen anderen Namen annehmen, und niemand würde jemals etwas erfahren …«
Daran kann ich nicht einmal denken …
Aspasia beobachtete sie aufmerksam. Schließlich seufzte sie leise.
»Solange du dich nicht entschließen kannst, wird es wohl besser sein, wenn du deine Brüste umwickelst.« Sie reichte Halo eine breite Binde. »Du wirst allmählich erwachsen.«
ΚΑΠΙΤΕΛ 28
An einem Maimorgen, zwei Tage nachdem Archidamos und die Spartaner erneut in Attika eingefallen waren und das Land verwüstet hatten, wachte Gyges der Skythe mit entsetzlichen Kopfschmerzen auf. Stöhnend wälzte er sich auf seiner Strohmatte hin und her. Schließlich stand er auf, goss sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf und hoffte, dass die Schmerzen verschwinden würden, wenn er erst einmal gefrühstückt hätte.
Das Landvolk strömte bereits wieder in die Stadt zurück. Halo beobachtete die klappernden Wagen und sah die besorgten Gesichter. In der Ferne stieg eine Rauchsäule in den klaren blauen Himmel. Als Halo durch das Lager der Skythen ging, wurde ihr klar, wie schnell sich die Stadt wieder füllte. Schon waren an der Stadtmauer wieder Hütten aufgebaut worden, an den Mauern der Tempel und Schreine
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