Halo - Tochter der Freiheit
Schriftrollen durch – vielleicht findest du heraus, wie man diese Symptome behandelt.«
»Kann ich deinen Sklaven zu Aspasia schicken, damit sie weiß, wo ich bin?«
Er nickte und lächelte müde, dann eilte er zum nächsten Patienten.
Sie verbrachte die ganze Nacht mit den Schriftrollen, fand aber wenig Brauchbares. Gegen die Blutungen könne man es mit Beinwell und Wegerich versuchen; mit Terpentinöl könne man den Mund ausspülen, gegen den erhitzten Körper helfe Fieberkraut … all das war ihr nicht neu. Schließlich schlief sie an Hippias’ Schreibtisch ein. Und dort fand er sie, als er von einem Patienten zurückkehrte und gleich wieder zum nächsten Patienten aufbrechen wollte.
»Geh nach Hause«, sagte er. »Geh schon.«
Sie hörte seine Stimme zuerst nur im Traum. »Nein«, murmelte sie. »Ich bin noch nicht fertig …« Die Lampe war niedergebrannt; schwaches Mondlicht fiel durch die Tür herein. Draußen war es dunkel und seltsam still. In der Ferne hörte sie jemanden weinen.
»Halo«, sagte Hippias. Sie blinzelte und versuchte, richtig wach zu werden. »Geh nach Hause. Du wirst deine Kraft brauchen, um das alles selbst zu überstehen. Etwas Furchtbares ist über uns gekommen …«
Sie schaute ihn an, sah sein Gesicht, das blass und unendlich müde war. »Was ist es denn?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er bekümmert. »Es ist wie alle Krankheiten auf einmal. Ich habe jetzt mehr als zwanzig Patienten besucht, zwanzig Menschen mit entzündeten Augen, blutigen Kehlen und Mundhöhlen, und alle erbrechen sich ständig, husten, klagen über starke Schmerzen in Brust, Bauch, Kopf, erleiden Anfälle, Krämpfe … alle haben solche Schmerzen … und noch vor ein paar Tagen hatte ich keinen einzigen solchen Fall.«
Halo hatte keinerlei Erklärung für das, was geschah. Wie konnten so viele Menschen plötzlich so krank werden? Woher kam diese Krankheit, die ohne jede Vorwarnung einfach über die Leute herfiel?
Oder doch …?
Es gab einen Namen für eine solche Krankheit.
Aber es war kein Name, den sie jemals aussprechen wollte.
»Hippias?«, sagte sie zögernd und schaute ihn ernst an. »Ich habe gehört, dass es in Lemnos einmal die Pest gab … Hippias, kann es die Pest sein?«
Der Arzt hatte Tränen in den Augen. »Ich weiß es nicht. Ich hatte immer Glück und bin der Pest nie begegnet. Aber ich fürchte, wenn ich sie je zu sehen bekäme … dann könnte sie so aussehen … Ja, ich fürchte, die Pest ist ausgebrochen.«
»Sterben die Patienten daran?«, fragte sie. Ihre Lippen zitterten. Sie biss die Zähne zusammen, um ihre Angst nicht laut hinauszuschreien. Phobos.
»Ja«, nickte der alte Arzt. »Sie werden daran sterben. Der dunkle Hades wird reiche Ernte halten. Die Götter seien uns gnädig.«
Die Schule wurde geschlossen. Drei Lehrer waren erkrankt, einer bereits gestorben. Niemand wusste, wie viele Schüler schon krank waren.
»Unter der Landbevölkerung wütet sie am schlimmsten«, sagte Hippias. Vor ihm stand ein großer Teller Baklava, von dem er geistesabwesend immer wieder eines der Gebäckstücke nahm und sich in den Mund stopfte, während er weitersprach. »In den städtischen Lagern leben sie furchtbar zusammengedrängt, und sie können sich auch nicht waschen, selbst wenn sie wollten … Es gibt kein frisches Wasser, sie verrichten ihre Notdurft, wo immer sie können, und die Krankheit liegt in der Luft, die sie atmen …«
Halo wusste, dass das nicht übertrieben war. Sie und Arko hatten einen Sklaven vom Land mit rot geschwollenen Augen mitten auf der Straße liegen sehen. Er sollte nicht hier liegen , hatte Halo gedacht und ihn angesprochen. Er sei nicht krank, sei nur auf dem Heimweg gestolpert, es gehe ihm gut, er wohne mit seinem Herrn an den Langen Mauern, hatte der Mann mühsam erklärt. Aber er sah krank aus. Doch was hätte sie tun können?
Hippias wusste kein Gegenmittel – er behalf sich mit Kräutern und Anweisungen für die Ernährung. Nichts Neues. Nichts Besonderes.
»Du glaubst also, die Menschen hier werden die Krankheit genauso ertragen müssen wie jede andere Krankheit?«, fragte Halo.
Er hörte auf zu kauen und verbarg sein Gesicht in den Händen. »Ja«, murmelte er. »Wir können es ihnen nur ein wenig leichter machen … aber das wird ihnen nicht viel nützen. Wir können versuchen, sie zu stärken, damit sie die Krankheit überleben … aber damit verlängern wir vielleicht nur ihr Leiden. Vielleicht«, fuhr er fort und warf ihr den
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