Halo - Tochter der Freiheit
gutes Stück weit hinter sich gelassen hatten, rissen die Skythen ihre Pferde herum, Erdbrocken spritzten unter ihren Hufen auf. Sie hielten an und orientierten sich, und sie überprüften, ob einer von ihnen verwundet war. Dann schütteten sie sich Wasser aus ihren Lederschläuchen in die trockenen Kehlen, lachten und schlugen einander auf die Schultern. Schließlich ritten sie weiter, zur nächsten Stellung, und alles begann von vorn. Am Abend aßen sie, streckten ihre Muskeln, versorgten ihre Wunden und legten sich schlafen.
Wochenlang beschoss Halo die Spartaner tagsüber mit ihren Pfeilen; am Abend zog sie kretische Pfeile aus den Skythen. Immer noch kamen Botschaften von Aspasia, aber keine einzige lautete: »Perikles will, dass du nach Hause kommst, alles ist wieder gut, er erlaubt dir zu lernen und Arzt zu werden.«
Halo wurde allmählich zu einem Skythen, sie lebte, aß, schlief, wachte, trainierte, kämpfte wie sie. Sie fragte Arimaspou sogar, ob sie einen eigenen molossischen Welpen haben dürfte.«
»Ein Weibchen«, sagte sie. »Ich werde es großziehen. Und ich taufe es … Amazone.«
Arimaspou lächelte. »Vielleicht. Wir werden sehen, was uns die Zukunft bringt.«
Die Spartaner zogen schließlich ab, aber Athen musste immer noch gegen die Pest kämpfen.
In diesem harten, traurigen Sommer fand Halo heraus, wozu sie fähig war. Sie konnte kämpfen, konnte Wunden behandeln, konnte von Hippias lernen und die Pestopfer pflegen.
Eine von Hippias’ Patientinnen heuerte einen Mann an, der die Leiche ihrer Schwester auf den Scheiterhaufen einer anderen Familie werfen musste. »Was hätte ich tun sollen?«, klagte die Frau. »Ich habe kein Geld, es gibt kein Holz mehr, alles Holz wurde für die anderen Scheiterhaufen verfeuert. Und es war niemand mehr da, der sie wegbringen konnte. Alle sind tot! Die Trauernden – tot. Was hätte ich tun sollen?«, schrie sie und lief voller Scham davon.
Vor einem Jahr, dachte Halo, stand ich auf dem Felsen von Kap Sounion und brachte Poseidon ein Opfer für meine Eltern dar. Vor neun Monaten hielt Perikles bei der prächtigen Beerdigung der Kriegsgefallenen seine wunderbare Rede. Und heute warf diese Frau die Leiche ihrer Schwester auf den Scheiterhaufen irgendeines Fremden, als sei sie nichts als ein Haufen Lumpen.
Etwas legte sich um Halos Herz, als müsste es klein gequetscht werden, damit es die entsetzlichen Schmerzen dieses langen Sommers des Todes nicht mehr so sehr spüren konnte. Wohin auch immer sie ging, nahm sie ihre Arzttasche mit sich: Tee, der den Kranken half zu schlafen; eine Salbe, um ihre wunden Stellen zu mildern, und Nadeln, um ihre Eiterpusteln aufzustechen. Außerdem führte sie immer eine Tontafel mit sich, auf der sie die verschiedenen Stadien der Leiden der Kranken notierte. Sie schrieb genau auf, wie die Pest ihre Opfer tötete.
Bald hatte sich herumgesprochen, dass sie bereitstand, um zu helfen, und die Menschen kamen ins Lager der Skythen oder zu Hippias und fragten nach ihr. Unter ihnen war auch Bokes, der Sklavenjunge ihres alten Musiklehrers Philoktetes, der in früheren und glücklicheren Zeiten oft geholfen hatte, Früchte aufzuschneiden und das Picknick vorzubereiten. Schon nach einem Blick in sein Gesicht sah sie, dass er keine guten Nachrichten für sie hatte.
»Die Enkelin des Meisters ist krank«, sagte er sehr leise.
Mehr Worte waren nicht nötig. Halo verbiss sich die Tränen. Sie nahm ihre Tasche und folgte ihm.
Arimaspou schaute ihr nach, mit undurchdringlichem Gesicht.
Und alles wurde noch schlimmer. Es war, als sei den Menschen keine Widerstandskraft mehr geblieben, weder körperlich noch geistig. Sobald jemand rote Augen und Halsweh bekam, hoben die Angehörigen hilflos und verzweifelt die Hände und gaben auf. Dann folgten Tage, in denen sie Entsetzliches mitansehen mussten, und das Grauen wurde von Tag zu Tag schlimmer.
Lenane, die Enkelin des Musiklehrers, weinte, als Halo ankam. Sie war noch im Frühstadium. »Die Götter haben uns verlassen«, schrie sie immer wieder.
Ihr älterer Bruder Alexis saß an ihrem Bett. Er war völlig betrunken, obwohl es gerade erst Mittag war. »Sie hat recht«, murmelte er undeutlich. »Warum sollen wir tun, was die Götter sagen? Der Tod holt sie doch alle, Gläubige und Ungläubige …«
»Still, Kind«, sagte seine Mutter gequält. »So etwas darfst du nicht sagen, es ist verboten.«
»Wozu brauchen wir noch Gesetze, die uns etwas verbieten?«, rief Alexis. »Glaubst
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