Halo - Tochter der Freiheit
gewichen. Ein paar Bauernhöfe hatten sich gut von den Zerstörungen des Vorjahres erholt: Reifes, nahrhaftes Gemüse stand auf den Feldern, und an den Olivenbäumen hingen noch unreife grüne Früchte in der Mittagshitze. Doch andere Häuser standen leer und verlassen, deren Bewohner waren nicht mehr zurückgekehrt.
Wahrscheinlich sind sie tot , dachte Halo, hingemetzelt bei den Zerstörungszügen der Spartaner durch Attika oder durch die Pest gestorben . Hier waren die Gemüsebeete voll wirrem Unkraut, ausgetrocknet oder verdorrt, die Felder und Äcker verwüstet und ungepflegt, und an den unbeschnittenen, wild wachsenden Reben waren nur kleine, vertrocknete Trauben zu sehen. Die Olivenbäume waren teilweise umgehackt worden oder standen halb verbrannt und kahl in den Hainen. Gelegentlich streunten ein paar abgemagerte, gackernde Hühner herum, die in der trockenen Erde kratzten, um ein paar Körner zu finden. Traurig blickte Halo auf diese Ödnis, als sie vorbeiritt.
Auf dem Heimritt an diesem Abend begegneten sie einer Gruppe Männer, die vollständig betrunken ein Sklavenmädchen belästigten, das von einer Besorgung zurückkehrte. Niemand rief sie zur Ordnung. Schwindler und Betrüger streiften unbehelligt durch die Straßen Athens.
»Woher kommen plötzlich all diese Betrüger?«, wunderte sich Halo entsetzt, als sie wieder einmal dem Mann begegnete, der immer noch versuchte, seine Amulette und Hasenfüße als Glücksbringer zu verkaufen. An einer anderen Ecke verkündete ein vollständig weiß gekleideter Mann einer kleinen Menschenmenge, dass die Leute der Pestkrankheit nur ausweichen könnten, wenn sie einem Dionysischen Fest beiwohnten, deshalb sollten sie ihm jetzt alles Geld geben, das sie bei sich trugen, und er würde dann dafür sorgen, dass sie daran teilnehmen durften …
»Die gab es schon immer«, schnaubte Arko. »Und es gibt auch immer Menschen, die sich an diese falschen Hoffnungen klammern wie Ertrinkende an das Treibholz, wenn ihnen nichts anderes mehr übrig bleibt.«
Am nächsten Morgen ging Halo wieder zum Haus des Philotetes. Lenane ging es nicht besser; sie litt furchtbar. Bei ihrem Anblick fühlte sich Halo an all das erinnert, was sie selbst durchgemacht hatte, und es kostete sie ihre gesamte innere Kraft, nicht vor Mitleid mit dem Mädchen zusammenzubrechen. Denn damit wäre niemandem geholfen.
Auch Alexis war wieder bei der kranken Schwester. Heute war er zwar nüchtern, saß aber weinend und laut über ihre Schmerzen klagend an ihrem Bett. Seine Mutter versuchte, ihn zu beruhigen, während Philoktetes auch heute still in seiner Ecke saß, auf der Leier zupfte und schwieg. Halo wusste, dass es keinen Wert hatte, sie aus dem Zimmer zu schicken. Alexis hatte recht: Wahrscheinlich würde die ganze Familie sterben.
Später an diesem Tag begegnete sie Alexis noch einmal an der Ecke beim Leokoreion, dem neuen Schrein, den man zu Ehren der Töchter des Leos errichtet hatte, die man in früheren Zeiten geopfert hatte, um Athen vor der Pest zu bewahren. Inzwischen wurden überall in der Stadt solche neuen Schreine errichtet – niemand vertraute mehr auf den Schrein der Athene Hygeia auf der Akropolis, der Krankheiten von der Stadt fernhalten sollte. Ein Reicher namens Telemachos – der das große Massengrab auf dem Friedhof hatte ausheben lassen – sprach bereits davon, die Statue des Asklepios von seinem Heimatort Epidauros nach Athen zu holen und ihm hier ein prächtiges Asklepieios, ein Heiligtum, zu errichten. Aber solange der Krieg nicht endgültig vorüber war, konnte er noch nicht einmal Gespräche darüber führen.
Der Glaube der Menschen ist offenbar genauso wenig wert wie Recht und Gesetz und Vernunft, dachte Halo. Telemachos ist die Ausnahme, sonst kümmert sich niemand darum, was aus der Stadt wird. Alle haben zu viel Angst.
Alexis redete auf den Hasenfußverkäufer ein. Er schien sehr angespannt und verzweifelt zu sein.
Halo zögerte und überlegte, ob sie nicht kehrtmachen sollte, um ihm nicht zu begegnen. Sie wollte nicht mit ihm reden – was konnte sie ihm schon sagen? Aber die Gasse war sehr eng, und sie konnte nicht vermeiden, ein wenig von dem mitanhören zu müssen, was die beiden Männer besprachen.
»Bring sie so schnell wie möglich zu uns, im Namen der Götter«, drängte Alexis den Hasenfußverkäufer. »Welcher Götter ist mir egal. Aber es muss heute Abend sein.«
Dann gab er dem Verkäufer etwas, Geld, wie Halo vermutete. Sie bog in eine kleine
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