Halo - Tochter der Freiheit
Nicht weit entfernt war eine Schlucht – vielleicht würde sie dort etwas Schatten finden. Als sie näher kam, hörte sie durch einen Vorhang aus staubigen Blättern ein herrliches Geräusch: das Plätschern von kühlem, strömendem Wasser. Allein das Geräusch war Balsam für ihre Seele. Mit frischer Energie rannte sie vorwärts. Ein Dornengestrüpp brachte sie zu Fall, und sie landete erschrocken auf allen vieren. Direkt vor ihren Augen, mehrere Meter unter ihr, mit Sonnen- und Schattenflecken gesprenkelt und von dichtem Unterholz und großen, knotigen Bäumen gesäumt, floss träge ein seichter, schmaler Fluss auf einen steilen, kühlen Wasserfall zu, der sich in einen breiten, dunklen Teich ergoss.
Halo rappelte sich auf, schlug sich durch die Büsche und suchte, ohne auf die Dornen zu achten, einen Weg zum Wasser hinunter. Sie konnte es kaum erwarten – doch dann stand sie endlich auf einem Fels am Uferrand und riss sich die verschwitzten, staubigen Kleider vom Leib, um so schnell wie möglich ins Wasser zu springen. Aber dann hielt sie inne, prüfte erst die Tiefe und zwang sich zur Vorsicht.
Nackt ließ sie sich vom Fels ins Wasser gleiten, tauchte unter, spürte, wie Staub und Hitze von ihr abgewaschen wurden, spürte, wie ihre Haare im Wasser auftrieben, spürte, wie die Kühle sich über ihre Kopfhaut, hinter ihre Ohren, über ihren ganzen Körper verbreitete … Noch nie war etwas so herrlich gewesen. Sie öffnete ihre brennenden Augen und sah in die kühle, dämmrig grüne Unterwasserwelt, sie lachte stumm und ließ blubbernd ein paar Luftblasen aufsteigen … und schoss wieder an die Oberfläche, planschte, massierte die juckende Kopfhaut mit den Fingernägeln, schüttelte die Haare aus und war nur glücklich, glücklich, glücklich. Sie ließ sich auf dem Rücken treiben – und ging fast dabei unter, denn hier wurde ihr Körper nicht vom Salzwasser getragen. Dieses Wasser war wunderbar süß! Nicht einmal auf Zakynthos war das Quellwasser so süß. Sie schwamm zum Wasserfall und legte den Kopf in den Nacken. Sie machte den Mund weit auf und trank, aber nicht zu viel, um keine Bauchschmerzen zu bekommen. Sie stieß sich ab und ließ sich wieder auf dem Rücken treiben. Hoch über ihr, am Ende eines Tunnels aus grünem Blattwerk, sah sie den Himmel, blau und fern. Um sie herum war alles still.
Sie planschte.
Sie war glücklich.
Und so hungrig.
Oh – was war das? Aus dem grünen Blattwerk am Ufer ragte ein langer Ast über die Wasseroberfläche, mit gefiederten Blättern und dicken, schweren dunklen Beeren, roten, köstlichen Maulbeeren.
Ihre Lieblingsbeeren.
Sie stieß sich aus dem Wasser und griff nach dem Ast, hielt sich mit einer Hand fest und pflückte mit der anderen die Beeren und stopfte sie sich in den Mund. Süß zerplatzten sie auf ihrer Zunge. Wundervoll. Halo strampelte vergnügt im Wasser. Aber die Maulbeeren machten sie nur noch hungriger. Sie brauchte richtiges Essen. Rasch kletterte sie ans Ufer und ging flussaufwärts, wo noch nicht alle Fische vor ihrem Platschen und Lachen Reißaus genommen hatten.
Nach einer Weile hatte sie vier Fische gefangen, indem sie die Tiere mit den Fingern am Unterbauch gekitzelt hatte, wie Cheiron es ihr gezeigt hatte. Nachdem sie sie getötet hatte, entfernte sie mit ihrem Messer die glibberigen roten Innereien. ******
Obwohl sie fast am Verhungern war, bettete sie, bevor sie mit dem Essen begann, einen Fisch zusammen mit ein paar Mandeln und einer Feige vorsichtig auf Feigenblätter und legte ihn auf einen besonders hohen, flachen Stein, der ihr für diesen Zweck geeignet erschien. »Demeter, Artemis, Poseidon und Dionysos, ich danke euch«, sagte sie. »Ich werde euch mehr opfern, sobald ich kann.«
Sie schnitt die anderen Fische auf und aß sie roh mit ein paar Fenchelblättern, die sie am Flussufer gefunden hatte. Sie schmeckten nicht so gut wie bei Chariklo, die die Fische immer am Spieß briet, aber hungrig wie Halo war, kamen sie ihr wie ein Festmahl vor.
Nach dem Essen machte sie sich daran, den gestohlenen Umhang zu waschen. Vom Schweißgeruch des Mannes wurde ihr nachts immer noch übel. Sie tauchte den Umhang ins Wasser, schwenkte ihn hin und her, zog ihn auf die flachen Felsen hoch und stampfte darauf herum. Wie schwer er war, wenn er mit Wasser vollgesogen war. Sie konnte den kratzigen, tropfnassen Stoff kaum hochheben. Mehrmals spülte und stampfte sie, dann hängte sie den Umhang über einen kräftigen Ast und knetete Stück
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