Halo - Tochter der Freiheit
sagst du da, Leonidas?«
»Nun, er war eigentlich kein richtiger Sklave, Melesippos«, antwortete Leonidas. »Hast du das nicht selbst bemerkt?«
»Was war er dann?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Leonidas zu. Ihm war vollkommen klar, dass er jetzt große Schwierigkeiten bekommen würde. Sparta ließ keinen Sklaven entkommen. Niemals.
»Höchst ungewöhnlich«, murmelte Mantiklas. Seine großen blassen Augen glühten förmlich, während er abwechselnd Leonidas und die Menge wie gebannt anstarrte.
»Ich habe dir die Gelegenheit gegeben, ihn unter Kontrolle zu bringen, Leonidas«, sagte Melesippos kalt. »Du hast versagt. Ich habe jetzt keine Zeit, ihn zu verfolgen und zu töten – und ich kann mich auch nicht darauf verlassen, dass du es tust.«
Leonidas zwang sich, Melesippos’ Blick so ausdruckslos wie möglich zu erwidern. Er hasste es, sich diese Vorwürfe von Melesippos anhören zu müssen, doch er wusste auch, dass Melesippos recht hatte. Aber hätte er sie denn nicht gehen lassen sollen?
»Wie konnte er sich von den Ketten befreien?«
»Ich habe sie ihm abgenommen, Herr«, antwortete Leonidas, ohne dem Blick des Kriegers auszuweichen. Er blinzelte nicht einmal. Und niemals würde er lügen.
Melesippos starrte ihn lange an, dann schnaubte er verächtlich und sagte: »Du allein wirst an seinem Tod schuld sein. Genügt das als Strafe?«
»Herr«, sagte Leonidas nur und verneigte sich militärisch knapp vor seinem Lehrer. Er wusste, wie man die eigenen Gefühle verbarg. Und im Moment verbarg er sie besonders gut.
»Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun«, sagte Melesippos, noch immer wütend. »Mantiklas, was bedeutet das alles? Ist der Zentaur ein Omen für uns?«
»Nun ja, ich denke schon«, sagte Mantiklas nachdenklich. »Es könnte durchaus sein. Aber das Orakel sprach ganz eindeutig zu unseren Gunsten, und das ist sehr ungewöhnlich. Uns wurde gesagt, dass wir diesen Krieg gewinnen, wenn wir so hart kämpfen, wie wir können.«
»Richtig«, sagte Melesippos.
»Heißt das, dass wir alle Waffen einsetzen sollen, die uns zur Verfügung stehen?«
»Natürlich«, antwortete Melesippos.
»Gehören auch spirituelle Waffen dazu?«
»Spirituelle Waffen?«, fragte Melesippos verwundert.
»Innerliche Waffen«, erklärte der blonde Junge mit geistesabwesendem Gesichtsausdruck.
»Danke, ich weiß, was das Wort bedeutet«, sagte Melesippos sarkastisch. »Ich verstehe nur nicht, was du damit sagen willst.«
»Das werde ich dir erklären, wenn die Zeit gekommen ist. Hab Dank für deine Worte. Du kannst beruhigt sein. Aber eine letzte Frage – was sagte das Orakel genau: Sagte es, ›Ehrlos ist jener, der den Zentauren zum Sklaven macht‹, oder sagte es ›der einen Zentauren zum Sklaven macht‹?«
»›Den Zentauren‹«, sagte Melesippos. »Warum fragst du?«
Mantiklas schaute ihn verträumt an. »Kannst du es dir nicht denken? Ein Zentaurenherz kann jede Schlacht gewinnen … Dieser Zentaur mag uns verboten sein, aber … Wir haben immer angenommen, dass es keine Zentauren mehr gibt, doch offenbar gibt es sie noch, und deshalb, nun … wir könnten es versuchen. Was meinst du? Melesippos, ich gehe nicht mit dir nach Sparta zurück, jetzt noch nicht. Ich muss etwas überprüfen. Ich werde aber zurückkommen …« Mantiklas atmete tief ein, dann fuhr er fort: »Ich werde zurückkommen, bevor das schwarze Blut beginnt, von den höchsten Dächern zu tropfen.«
Melesippos, dem treuen Soldat, lief ein Schauder über den Rücken. Der blonde Junge sah eindeutig Dinge, die andere nicht sehen konnten. Oder nicht sehen wollten, dachte er.
Und Leonidas? Er fühlte förmlich, wie die kalte Klaue von Phobos nach seinem Herzen griff. Nun wird einer von ihnen sie umbringen, dachte er, und die anderen werden ihren Zentaurenbruder ermorden. Ich habe meine Pflicht schon einmal verletzt, um sie zu schützen … Ich kann ihr nicht mehr helfen.
ΚΑΠΙΤΕΛ 18
»N ach Osten!«, schrie Halo Arko ins Ohr, als er auf die Agora hinauslief, die vor dem Apollon-Heiligtum lag. »Nach Osten!«
Arko galoppierte so schnell wie der Wind, er war ein freies, starkes Geschöpf, das man zu lange in Ketten gefangen gehalten hatte; nun wollte er sich endlich wieder die Frühlingsbrise durch das wilde Haar wehen lassen und die Straße unter den Hufen dahinfliegen sehen. Halo klammerte sich, so gut sie konnte, an ihm fest. Bei ihrer Flucht hatte Arko sie gepackt und sie sich buchstäblich über die Schulter auf den Rücken geworfen,
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