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Halo

Halo

Titel: Halo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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starrten hinab und würdigten mich keines Blickes, obwohl ich laut zu ihnen hinaufrief. Ich wartete darauf, dass das Urteil gefällt wurde, bis ich erkannte, dass das bereits geschehen war. Niemand sprach mehr mit mir, niemand setzte sich für mich ein.
    Als Nächstes spürte ich, wie ich fiel. Alles, was ich kannte, löste sich auf, die Säulen im Gerichtssaal, die Gestalten in den Roben und schließlich die Gesichter von Gabriel und Ivy. Und noch immer fiel ich, stürzte in eine endlose Reise ins Nichts. Dann endete der Fall, und ich war in einem Hohlraum eingesperrt. Ich war mit gesenktem Kopf auf die Knie gefallen, meine Flügel waren gebrochen, und ich blutete. Ich konnte mich nicht vom Boden erheben. Das Licht erlosch langsam, bis mich eine erdrückende Dunkelheit umgab, so dicht, dass ich die Hände nicht vor den Augen sehen konnte. In dieser düsteren Welt war ich ganz allein. Ich sah mich selbst als Inbegriff der Schande, ein Engel, der in Ungnade gefallen war.
    Ein Schattenwesen mit unscharfen Konturen näherte sich. Zuerst machte mein Herz einen Sprung, in der Hoffnung, es sei Xavier, der zu meiner Rettung kam. Doch jegliche Hoffnung schwand, als ich instinktiv spürte: Was immer da auch war, es war etwas, vor dem ich mich fürchten musste. Trotz des Schmerzes in meinen Gliedern kroch ich so weit weg wie möglich. Ich versuchte meine Flügel auszubreiten, aber sie waren zu beschädigt, um zu gehorchen. Die Gestalt war jetzt nahe, sie schwebte direkt über mir. Ihre Konturen wurden deutlicher, ich konnte ein siegesgewisses Lächeln erkennen. Ich konnte nichts mehr tun, ich musste mich dem Schatten hingeben. Das war die Verdammnis. Ich war verloren.
     
    Am Morgen sah wie so oft alles ganz anders aus. In mir war neues Selbstbewusstsein gewachsen.
    Ivy kam in mein Zimmer, um mich zu wecken. Der Duft nach Freesien zog wie gewohnt hinter ihr her.
    «Ich dachte, du könntest einen Kaffee gebrauchen», sagte sie.
    «Ich gewöhne mich langsam daran», antwortete ich und nahm einen Schluck von der Tasse, die sie mir entgegenstreckte, ohne das Gesicht zu verziehen. Ivy setzte sich steif an meinen Bettrand.
    «Ich habe Gabriel noch nie so wütend gesehen», sagte ich. Es war mir wichtig, mich mit Ivy auszusprechen. «Ich dachte immer, er wäre … irgendwie … unfehlbar.»
    «Bist du noch nie auf die Idee gekommen, dass er vielleicht selber unter Stress steht? Du weißt, dass er und ich dafür verantwortlich gemacht werden, wenn irgendetwas nicht gut läuft.»
    Ihre Worte trafen mich wie ein körperlicher Schlag, und ich spürte, wie mir die Tränen kamen.
    «Ich möchte nicht, dass ihr schlecht von mir denkt.»
    «Das tun wir nicht», versicherte sie mir. «Gabriel will dich nur beschützen. Er möchte dich einfach vor Schmerz bewahren.»
    «Ich verstehe nur nicht, was schlecht daran sein kann, Zeit mit Xavier zu verbringen. Glaubst du wirklich, er würde mich verletzen?»
    Ivy war nicht feindselig wie Gabriel, und als sie meine Hand nahm, wusste ich, dass sie mir meine Verfehlung bereits vergeben hatte. Aber ihre steife Haltung und der strenge Zug um ihren Mund sagten mir, dass sich ihre Einstellung nicht ändern würde. «Du musst aufpassen, dass du keine Dinge in Gang setzt, die du nicht weiterführen kannst. Es wäre nicht wirklich fair, oder?»
    Die Tränen, die ich zurückgehalten hatte, flossen jetzt nur so. Ich fühlte mich elend, als Ivy ihre Arme um mich legte und mir übers Haar strich.
    «Ich bin dumm gewesen, stimmt’s?»
    Ich erlaubte der Stimme der Vernunft zu übernehmen. Ich kannte Xavier Woods kaum, und ich bezweifelte, dass er auch nur eine Träne vergießen würde, wenn wir uns aus irgendeinem Grund nicht treffen konnten. Ich hatte mich benommen, als hätten wir uns einander versprochen, und plötzlich kam mir alles so absurd vor. Vielleicht hatten Romeo und Julia auf mich abgefärbt. Ich fühlte eine tiefe, unergründliche Verbindung zwischen Xavier und mir, aber vielleicht irrte ich mich auch. War es möglich, dass das alles nur ein Hirngespinst war?
    Es stand in meiner Macht, Xavier zu vergessen. Die Frage war: Wollte ich das? Es gab keinen Grund zu leugnen, dass Ivy recht hatte. Wir waren nicht von dieser Welt und hatten keinen Anspruch auf sie oder auf das, was sie zu bieten hatte. Ich hatte kein Recht, mich in Xaviers Leben einzumischen. Unsere Rolle war die des Botschafters, des Vorboten der Hoffnung, und sonst nichts.
    Nachdem Ivy gegangen war, zog ich Xaviers Nummer aus der Tasche,

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