Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
sauber, nur wenige persönliche Gegenstände. Aber Marshall ist Sammler.«
»Muschelschalen und Schneckenhäuser!« Mein Tonfall war eindeutig. Begeisterung.
»Hunderte, alle beschriftet und ordentlich in kleinen Schachteln sortiert.«
Im Hintergrund hörte ich eine Stimme.
»Moment mal.« Gullet schaltete auf eine andere Leitung.
Während ich wartete, erzählte ich Ryan von Marshalls Hobby.
»Hoffe nur, er hat Muscheln und Austern nicht durcheinandergebracht.«
Als Gullet sich wieder bei mir meldete, hatte er weitere Neuigkeiten.
»Marshalls Bayliner ist in Key Largo, Florida.«
»Das ging aber schnell.«
»Ich hatte eine Fahndung mit Bootstyp und Registriernummer ausgegeben. Die Kollegen in Key Largo haben sie vor ungefähr zwanzig Minuten entdeckt. Trägt den schönen Namen Flight of Whimsy. «
Flight of Whimsy? Höhenflug der Fantasie? Ich konnte mir einen Kommentar nicht verkneifen.
»Fantasie braucht man schon, um einen so teuflischen Plan auszuhecken. Aber ein Höhenflug ist das eher nicht. Wie kam das Boot auf die Keys?«
»Ein Herr namens Sandy Mann behauptet, er habe sie in Charleston gekauft und sei am Sonntag damit in Richtung Süden gefahren. Die Zeitangaben passen. Nach Zeugenaussagen liegt die Flight of Whimsy seit irgendwann am Montag im Hafen.«
»Wie lautet Manns Geschichte?«
»Er ist unterwegs, um sie zu erzählen.«
»Rodriguez?«
»Die Polizei von Puerto Vallarla stürmte die Abrigo-Klinik ungefähr zu der Zeit, als wir Marshall verhafteten. Fand so ziemlich dieselbe Ausstattung, allerdings ein bisschen raffinierter als hier bei uns. Das Drumherum ist nur eine Fassade.«
»Rodriguez?«
»Nicht in der Klinik, nicht zu Hause, nicht in seinem Club. Ein Fahrzeug fehlt. Die Freundin meint, er könnte nach Oaxaca gefahren sein, um Freunde zu besuchen.«
»Er hat sich aus dem Staub gemacht.«
»Sieht ganz so aus.«
»Offensichtlich hat Marshall ihn gewarnt.«
»Die kriegen ihn schon. Allerdings weiß die mexikanische Polizei noch nicht so recht, wie die Anklage lauten soll.«
»Der Mann hat Organe verkauft, die von Mordopfern stammen.«
»Ich fürchte, Dr. Rodriguez’ Anwalt wird da ein etwas anderes Bild zeichnen. Falls er gefälschte Belege für die Herkunft der implantierten Organe vorlegen kann, könnte es schwierig werden, ihm was anderes nachzuweisen. Wir müssen die Lieferung eines Opferorgans und sein Wissen um die Herkunft beweisen.«
»Doktor.« Ich schnaubte verächtlich. »Der Mann ist ein moralischer Invalide und sollte weggesperrt werden. Niemand, der den Tod von Menschen in Kauf nimmt, sollte Arzt genannt werden. Für Marshall gilt dasselbe.«
»Marshall geht nirgendwo hin. Er sitzt wegen des Verdachts auf heimtückischen Mord in Untersuchungshaft.«
»Was sagt er?«
»Er will einen Anwalt.«
»Er hat das Recht auf eine richterliche Anhörung innerhalb von achtundvierzig Stunden. Am Freitag kommt Marshall auf Kaution wieder frei.«
»In dem Fall hänge ich mich an ihn dran wie eine Klette. Mein Deputy sieht sich gerade die Ambulanzakten an.«
»Sie haben meine Tabelle?«
»Die ersten Namen haben wir bereits überprüft. Nichts. Wahrscheinlich hat Marshall sämtliche Unterlagen der ermordeten Patienten vernichtet.«
»Montagues Akte hatte er aber noch.«
»Stimmt.«
Ich schaltete ab und erzählte Ryan, was ich eben erfahren hatte. Danach lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Obwohl ich hundemüde war, fühlte ich mich gut. Wirklich gut.
Marshall war hinter Gitter, und im Augenblick wurden Beweise zusammengetragen, die ihn des Mordes und unzähliger anderer Verbrechen überführen würden.
Wir hatten einen internationalen Organhändlerring geknackt. Auch wenn Rodriguez im Augenblick noch flüchtig war, war ich mir doch sicher, dass man ihn schnappen und vor Gericht stellen würde.
Ich hatte mein Versprechen an Emma erfüllt. Der Mann auf Dewees, der Mann am Baum und die Dame im Fass konnten jetzt in Frieden ruhen.
Gullet arbeitete mit der Charlestoner Polizei zusammen, und ich war mir sicher, dass man noch andere Vermisste aufspüren würde. Vielleicht Aikman, Teal und Flynn. Falls auch gegen internationales Recht verstoßen worden war, würde sich mit Sicherheit das FBI einschalten.
Als Ryan auf die Einfahrt zum Sea for Miles einbog, schaute ich auf die Uhr am Armaturenbrett. 19 Uhr 42. Wir stiegen eben die Stufen hoch, als mein Handy klingelte. Ich schaltete es ein und hoffte, es sei Gullet mit der Nachricht, Rodriguez sei verhaftet
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