Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
Daniels’ Adresse erst einmal gefunden, würde ich tun, was sich richtig anfühlte.
Klopfen fühlte sich richtig an. So viel zu Columbo.
Keine Reaktion.
Ich klopfte noch einmal, mit demselben Ergebnis. Ich drückte die Nase an ein schmales, hohes Fenster neben der Tür und spähte hinein.
Daniels mochte Weiß. Weiße Wände. Ein Spiegel in weißem Flechtwerkrahmen, weiße Barhocker, weiße Küchenschränke und Arbeitsflächen. Eine weiße Treppe führte steil in ein Obergeschoss. Mehr konnte ich nicht erkennen.
»Suchen Sie nach Corey?«
Beim Klang der Stimme wirbelte ich herum.
Rote Hosenträger. Strohhut. Bermuda-Shorts. Uniformhemd des US Postal Service.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken, Ma’am.«
»Nein«, sagte ich, während mein Herzschlag sich wieder normalisierte. »Ich meine, haben Sie aber. Ist Corey zu Hause?«
»Der Junge ist ziemlich berechenbar. Wenn er nicht arbeitet, ist er draußen beim Fischen.« Der Postbote lächelte mich an, eine Hand an seiner Tasche, in der anderen eine gefaltete Zeitschrift. »Sind Sie eine Freundin?«
»Hmm.« Fischen? Ein Boot? Ich fischte jetzt selbst ein wenig im Trüben. »Corey liebt sein Boot wirklich sehr.«
»Na ja, ab und zu muss man einfach mal raus. Komische Welt, nicht? So ein Riesenkerl wie er ist Pfleger, und zierliche, kleine Mädchen kämpfen im Irak.«
»Komische Welt«, wiederholte ich, während meine Gedanken das umkreisten, was ich eben erfahren hatte. Daniels besaß ein Boot!
Der Postbote kam drei Stufen hoch und drückte mir einen Stapel Post in die Hand. »Können Sie ihm das in den Briefkasten stecken?«
»Klar.«
»Schönen Tag noch, Ma’am.«
Ich wartete, bis sich der Postbote ein Stückchen entfernt hatte, zog dann die Post wieder aus dem Schlitz und blätterte sie durch. Lauter Bootsmagazine. Der Rest waren Umschläge und Werbebroschüren, alle an Corey R. Daniels adressiert. Mit einer Ausnahme. Ein weißer Standardumschlag mit kleinem Sichtfenster. Wahrscheinlich eine Rechnung. Adressiert an Corey Reynolds Daniels.
Ich steckte die Post wieder in den Schlitz und ging zu meinem Auto zurück.
Anlegestellen in der Nähe von Daniels’ Wohnung befanden sich in der Bohicket Marina, kurz hinter der Einfahrt zu Seabrook Island. Es schien mir einen Versuch wert zu sein.
In drei Minuten war ich dort. Eine Frau mit Lederhaut und viel zu knappem Bikini dirigierte mich zu Pier vier.
Leinen klapperten an Masten, als ich den Steg entlangging. Oder waren es Fähnchen? Fähnchen im Wind? Mein Hirn lief auf Hochtouren.
Daniels’ Boot gehörte nicht gerade zu den kleinsten, ich schätzte zehn Meter. Es hatte einen spitzen Bug mit einer Metallreling bis mittschiffs, ein überdachtes Steuerhaus, eine Heckplattform und eine Kabine, die aussah, als könnten vier Leute darin übernachten.
Mein Blick wanderte über das Deck. Auglersessel. Ausleger. Rutenhalter. Fischbox. Köderkiste. Frischwasserbassin. Das Boot war eindeutig fürs Angeln ausgestattet. Aber nicht heute. Alles war verzurrt und verschlossen, und Daniels war nirgendwo zu sehen.
Die Wohnung mindestens eine halbe Million. Das Boot wahrscheinlich noch einmal dreihunderttausend. Wie schaffte er das nur? Der Kerl musste einfach Dreck am Stecken haben.
Manchmal ist es ein Anblick, ein Geruch, ein aufgeschnapptes Wort. Manchmal gibt es überhaupt keinen Auslöser. Manchmal macht es einfach Klick , und der Scheinwerfer springt an.
Mein Blick fiel auf den Namen des Boots.
Klick!
37
Die Hunney Child.
Irgendeine Verwandte, die die Kosten übernahm.
Mein Neffe wohnt jetzt hier, und er hat ein klasse Boot.
Corey Reynolds Daniels.
Althea Hunneycut Youngblood. Honey.
Honey hatte in die Reynolds-Familie eingeheiratet. Sie hatte einen Neffen, der nach Charleston zurückgekehrt war. Sie hatte diesem Neffen ein Boot geschenkt.
Honey wohnte auf Dewees Island.
Willie Helms war auf Dewees Island begraben worden.
Corey Daniels war Honey Youngbloods Neffe. Er kannte Dewees Island.
Hatte Marshall Recht? Hatten wir den falschen Mann verhaftet? Besaß Daniels die Skrupellosigkeit und das Hirn, um der Kopf des Ganzen zu sein?
Gullet anrufen?
Nein. Ich brauchte noch mehr.
Ich musste noch auf eine andere Insel. Ich sprang in mein Auto und fuhr zur Isle of Palms.
Die Aggie Gray brauchte zehn Minuten zum Anlegen. Die Überfahrt nach Dewees Island dauerte noch einmal zwanzig. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Ich hatte Glück. An der Anlegestelle stand ein unbeaufsichtigter Golfkarren. Ich
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