Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
der Funkstille nie schwächer wurde. Ich erzählte ihm auch von Emmas Krankheit. Er schlug einen Besuch bei ihr vor, nachdem wir bei Isabella Halseys Haus vorbeigeschaut hatten.
Außerdem erzählte ich Ryan von Dickie Dupree und Homer Winborne. Er fragte, wie stark meine Besorgnis sei auf einer Skala von eins bis zehn. Ich gab dem Bauunternehmer eine Fünf, dem Journalisten eine Zwei minus.
Ich erinnerte mich an eine Bemerkung in unserer Unterhaltung am Abend zuvor.
»Was ist anomaler Monismus?«
Ryan schaute mich mit gespielter Enttäuschung angesichts meiner Wissenslücke an. »Eine Art Dualismus in der Philosophie von Bewusstsein und Handeln. Mentale Prozesse haben echte Wirkungsmacht, aber die Beziehungen, die sie mit materiellen Entitäten eingehen, können nicht mit den Naturgesetzen erklärt werden.«
»Wie in unserer Beziehung.«
»Das hast du gesagt.«
»Bieg da links ab. Warum Woody?«
Ryan warf mir einen fragenden Blick zu.
»Wann hast du deinen Jeep Woody getauft?«
»Heute Morgen.«
»Das hast du dir nur ausgedacht.«
»Inspiriert von G.I. Joe.«
»Pete war ein Marine. Sag keine blödsinnigen Sachen zu ihm. Ich will nicht, dass er dich für einen Clown hält.«
Isabella Halsey wohnte an der King Street, tief im Herzen des alten Charleston. Wie üblich war das ganze Viertel überfüllt mit Leuten, die aussahen, als wären sie mit dem Donald-Duck-Park-and-Ride-System hierher gekommen. Frauen in Designer-Sommerkleidern oder Hot Pants, die kaum ihre Hinterbacken bedeckten. Männer mit großen Bäuchen und Netz-Baseball-Kappen, die leer durch die Gegend starrten oder in Handys plapperten, fast alle in Golfhemden und mit Achtzehn-Loch-Bräune. Sonnenverbrannte Jugendliche. Händchen haltende Frischvermählte oder demnächst Vermählte.
Auf dem Old Market ging es zu wie in einem Bienenkorb. Eisverkäufer mit bimmelnden Glöckchen an ihren Fahrrädern. Schwarze Damen, die Blumen und Mariengraskörbe verkauften oder den Flaneuren anboten, ihnen Rastalocken zu machen. Ehemänner, die Mom und die Kinder filmten. Rentner, die sich über Wanderkarten beugten. Teenager, die Wegwerfkameras aufeinander richteten. Fliegende Händler, die Bohnen, Pralinen und Pfirsichkonfitüre verkauften.
Halseys Haus stand knapp hinter dem Battery Park, einer Grünfläche am Hafen mit Statuen, Kanonen und einem viktorianischen Musikpavillon. Bei dem kleinen Park sehe ich immer Bilder einer Sousa-Parade vor mir.
Das Ganze erinnert mich aber auch an die Geschichtsstunden in der vierten Klasse mit Schwester Mathias. Vom Battery aus beobachteten die Charlestoner im April 61, wie konföderierte Soldaten gegen Unionstruppen anstürmten, die sich in Fort Sumter am anderen Ufer verschanzt hatten. Bonjour , Bürgerkrieg. Einige Geschichtsfanatiker müssen erst noch adieu sagen und kämpfen noch immer um den Erhalt der Konföderierten-Flagge und die »Dixie«-Hymne.
Nachdem wir das Auto abgestellt hatten, gingen wir auf der East Bay am Hafen entlang. Nach der Rainbow Row waren es nach drei Blocks landeinwärts auf der Tradd bis zu einem engen gepflasterten Teil der Church Street.
Im Gegensatz zu Cruikshanks Unterkunft hätte Halseys Haus den Namen »Magnolia Manor« wirklich verdient. Die Blumenkästen an den Fenstern quollen förmlich über vor Blüten, und im Garten standen dicht an dicht die großen, alten Bäume.
Auch wenn Makler die Begriffe »authentisch«, »original« und »unverdorben« benutzt hätten, um das Haus zu beschreiben, fiel mir sofort »die Freude jedes Handwerkers« ein. Der beigefarbene Stuck, die schwarzen Fensterläden und der schmiedeeiserne Zaun brauchten dringend einen neuen Anstrich. Der Weg zum Haus und die gepflasterten Pfade durch den Garten waren von Moos überwuchert.
Als Ryan und ich uns dem Gartentor näherten, umfing uns der berühmte Blumenduft.
Durch die Magnolien sah ich eine Frau, die im Garten neben dem Haus an einem Tisch saß, das weiße Haar von Sonnenlicht gesprenkelt. Die Frau strickte. Obwohl Kinnpartie, Hals und Arme die schlaffe, faltige Haut älterer Menschen zeigten, waren ihre Bewegungen kräftig und sicher.
»Die Dame im Fass war um die vierzig«, sagte ich. »Falls Halsey das Opfer ist, könnte das ihre Mutter sein.«
Ryan legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich schaute ihn an. Die Wikingerblauen hatten einen Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Anerkennung, dass mir das Schicksal von Opfern und Verwandten wirklich am Herzen lag? Das Eingeständnis, dass ich
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