Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
tatsächlich zu tiefen Gefühlen fähig war?
Ryan nickte ermutigend.
»Entschuldigen Sie bitte«, rief ich in den Garten.
Die Frau hob den Kopf, schaute aber nicht in unsere Richtung.
»Tut mir Leid, dass wir Sie belästigen müssen, Ma’am.« Ich zögerte und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. »Wir sind hier wegen Cleopatra.«
Die Frau drehte sich uns zu. Sonnenlicht auf ihren Brillengläsern verhüllte den Ausdruck ihrer Augen.
»Ma’am. Können wir einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
Die Frau beugte sich vor und verzog den Mund zu einem umgekehrten U. Sie legte das Strickzeug auf den Tisch und winkte uns zu sich. Während Ryan und ich zu ihr gingen, zog sie eine Packung Zigarillos aus einer Tasche und zündete sich einen an.
»Wollen Sie auch?« Die Frau hielt uns Davidoff-Minis hin.
Ryan und ich lehnten ab.
»Gott im Himmel mit all seinen Engeln und Heiligen.« Die Frau wedelte mit blau geäderter Hand. »Ihr jungen Leute lauft vorm Tabak davon und nehmt das Koffein aus eurem Kaffee und die Sahne aus eurer Milch. Weicheier. So würde ich euch alle nennen. Weicheier. Ein Gläschen Eistee?«
»Nein, danke.«
»Einen Keks?«
»Nein, danke.«
»Natürlich nicht. Könnte ja echte Butter in den Keksen sein. Von echten Kühen.« Dann an mich gewandt: »Wohl ein Model, Butterblümchen, mh?«
»Nein, Ma’am.« Warum musste man mir immer Spitznamen geben?
»Solltense aber sein. Dürr genug sind Sie dafür.« Die Frau hielt sich die freie Hand unters Kinn und lächelte mit gesenkten Lidern, Lana Turner, die für eine Studioaufnahme posiert. »Miss Magnolia Blossom 1948.« Kichernd zog sie an ihrem Zigarillo. »Heutzutage ist nicht mehr alles an mir ganz so straff, aber damals drehte sich so ziemlich jeder Mann in Charleston nach diesem alten Mädchen um.«
Die Frau deutete auf eine schmiedeeiserne Bank. »Nehmen Sie Platz.«
Ryan und ich setzten uns.
»Lassen Sie mich raten. Sie und der junge Mann hier erforschen den Lebensstil von Dixies Reichen und Berühmten?«
»Nein, Ma’am –«
»Ich nehme Sie auf den Arm, Butterblümchen. Also mal raus damit. Warum fragen Sie und Mister Gutaussehend mich nach toten Ägypterinnen?«
»Ich rede von einer Katze.«
Die faltigen Augen hinter der Brille verengten und weiteten sich wieder.
»Sie reden von meiner Cleo?«
»Ja, Ma’am.«
»Dann haben Sie meine Streunerin also gefunden?«
Ich beugte mich vor und legte der alten Frau die Hand aufs Knie. »Es tut mir sehr Leid, Ihnen das sagen zu müssen. Cleo ist tot. Ihre Adresse haben wir dank des Chips herausgefunden, der ihr unter die Haut implantiert war.« Ich atmete tief durch. »Cleos Kadaver wurde zusammen mit der Leiche einer Frau gefunden. Wir befürchten, dass die Tote Cleos Besitzerin war.«
Ein Schimmer legte sich über die faltigen, alten Augen. Ich machte mich auf Tränen gefasst.
»Isabella Halsey?«, fragte die Frau.
»Ja.«
Ich erwartete Kummer, Wut, Ungläubigkeit, doch ich bekam nichts davon.
Die Frau kicherte noch einmal.
Ryan und ich schauten einander an.
»Sie glauben also, das alte Mädchen hat den Löffel abgegeben?«
Ich setzte mich verwirrt wieder auf.
»Sie haben Recht, und Sie haben Unrecht, Butterblümchen. Kann sein, dass Cleo zusammen mit ihrem Frauchen die Radieschen von unten betrachtet. Aber diese unglückliche Seele bin beim gnädigen Gott im Himmel nicht ich.«
Déjà vu. Wadmalaw Island. Chester Pinckney.
Zweimal in einer Woche? Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
»Sie sind Isabella Cameron Halsey?«, fragte ich.
»Gesund und munter.« Halsey zog ein zusammengeknülltes Tuch aus dem Dekolleté und tupfte sich die Wangen. »Oder zumindest munter beim Stricken. Was anderes ist an einem so heißen Tag wie heute ja gar nicht auszuhalten.«
»Cleopatra war Ihre Katze?«
»Aber sicher doch.«
»Sie hatten ihr den Chip implantieren lassen?«
»Sicher doch.« Ein theatralisches Seufzen. »Aber leider liebte Cleo eine andere.«
»Was meinen Sie damit?«
»So sehr ich mich auch bemühte, ich allein war dieser Katze nie genug. Musste einfach stromern, die pelzige, kleine Herumtreiberin.« Halsey warf Ryan einen koketten Blick zu.
»Was ist mit Cleopatra passiert?«, fragte ich.
»Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf unerwiderte Liebe. Eines Tages habe ich einfach die Tür aufgemacht und ihr die Freiheit geschenkt.«
»Wissen Sie, was aus ihr geworden ist?«
»Sie hat sich eine andere gesucht.«
»Wissen Sie, wen?«
»Natürlich.
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