Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
eine Frau klopfte.
»Sheriff, Sie wollten doch über die Beschwerde der Haeberles auf dem Laufenden gehalten werden. Marlene keift auf 911. Sagt, John Arthur verprügelt sie schon wieder.«
»Ist sie in Ordnung?«, fragte Gullet.
»John Arthur ist auf einer anderen Leitung. Sagt, Marlene hat ihm mit einem Holzlöffel fast ein Auge ausgeschlagen.«
»Trinken sie? Verdammt noch mal.« Gullet schaute auf seine Uhr. »Sagen Sie Marlene und John Arthur, ich komme selber vorbei. Aber wehe, ich finde Tequila im Schrank.«
Die Frau ging wieder.
»Wir dienen und beschützen«, sagte Gullet mit seiner üblichen Ausdruckslosigkeit zu Ryan und mir. »Sogar unsere eigenen, vertrottelten, versoffenen, angeheirateten Verwandten.«
»Darf ich mir diese Bilder kopieren?«, fragte ich und deutete auf meinen Laptop.
Gullet nickte.
Nachdem ich mir ein Verzeichnis angelegt hatte, kopierte ich Cruikshanks Bilder auf meine Festplatte. Während mein Computer anschließend herunterfuhr, wechselte ich das Thema.
»Haben Sie irgendwas über Willie Helms herausgefunden?«
»Ich habe einen Beamten losgeschickt, der sich in den Obdachlosenunterkünften umhört. Erklären Sie es mir noch einmal. Warum interessieren wir uns für diesen Knaben?«
»Während seiner Ermittlungen in Bezug auf Helene Flynn sammelte Cruikshank auch Informationen über Willie Helms, Unique Montague und eine Reihe anderer Vermisster. Ich glaube, er verfolgte da etwas auf eigene Faust.«
»Aha.« Skeptisch.
»Emma sucht nach einem Zahnarzt, der Helms vielleicht behandelt hat«, sagte ich. »Der Mann auf Dewees hatte jede Menge Füllungen.«
»Das ist aber schon ein verdammter Schuss ins Blaue.«
Das hörte ich von vielen Leuten.
»Einer der besten Detectives in Quebec?«
»Nimm nicht alles für bare Münze, was ich da drin gesagt habe. Ich habe ziemlich dick aufgetragen.«
»Vom Malefiz geholt?«
»Du hast verstanden, was er meinte.«
Ryan reihte sich in den Verkehr ein. Für einen Samstagnachmittag war er ziemlich dicht. »Was ist eigentlich ein Malefiz?«
»Ich glaube, das kommt von lateinisch maleficus , Böses tuend. Ein Übeltäter also. Vielleicht meint er ja Satan.«
»Satanisch südstaatlerisch.«
Ich boxte Ryan auf den Arm.
»Das ist ein tätlicher Angriff.«
»Verhafte mich doch.«
»Und jetzt?«
»Cruikshank, Flynn und Montague haben alle Verbindungen zu dieser Ambulanz, aber Gullet will nicht, dass irgendein Cowboy in Oxford-Tretern das Personal dort belästigt.«
»Ich trage ausschließlich Slipper.«
»Eigentlich meinte er Pete.«
»Den süßen, kleinen Lümmel.«
Zwanzig Minuten später waren wir wieder auf der Peninsula, in einem heruntergekommenen Viertel zwischen der Altstadt und der Cooper River Bridge. Niedrige Ziegel- oder Holzbungalows, durchhängende Veranden voller verrosteter Gerätschaften und hier und dort mit Sperrholz vernagelte Fenster oder Türen waren die typischen Merkmale dieses quartiers.
Ryan entdeckte das Backsteingebäude als Erster. Er parkte am gegenüberliegenden Straßenrand und stellte den Motor ab.
Die Ambulanz war ein schmuckloser Kasten mit verrosteten Klimaanlagen in den Fenstern und aufgelassenen Grundstücken zu beiden Seiten. Zur Nachbarschaft passend, gab es weder Fensterläden noch Schilder noch irgendwelche architektonischen Kinkerlitzchen. Die Innenjalousien waren geschlossen, wie an dem Tag, als Cruikshank seine Fotos schoss.
Während wir noch im Auto saßen, ging die Vordertür auf, und das Licht des späten Nachmittags funkelte im Rauchglas der Füllung. Eine alte Frau kam heraus und schlurfte langsam den Bürgersteig hoch.
Ich beschirmte die Augen mit der Hand und schaute die Nassau Street in beide Richtungen entlang, wobei ich den Sichtachsen von der Tür aus folgte. Einen halben Block weiter nördlich war eine Bushaltestelle, einen halben Block weiter südlich eine Telefonzelle. Durch das schmuddelige Glas konnte ich erkennen, dass der Hörer herabbaumelte.
»Die Bilder wurden wahrscheinlich von der Telefonzelle und der Bushaltestelle aus aufgenommen«, sagte ich.
Ryan stimmte mir zu. Wir stiegen aus und überquerten die Straße.
Aus der Nähe wirkte das Gebäude noch heruntergekommener als auf den Fotos. In einem Fenster entdeckte ich einen mit Isolierband verklebten Sprung. Das Band rollte sich an den Rändern bereits auf, was darauf hindeutete, dass es schon eine ganze Weile dort klebte.
Ryan hielt mir die Tür auf, und wir traten ein. Die Luft im Inneren war warm und
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