Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
im Allgemeinen dienstags, donnerstags und samstags für einen Teil des Tages hier in dieser Ambulanz. An den anderen Tagen betreue ich woanders Patienten.« Marshall stand auf. Eine Aufforderung zum Gehen. »Bitte zögern Sie nicht, mich anzurufen, wenn ich Ihnen weiter behilflich sein kann.«
»Ich glaube, er mochte uns nicht.« Ryan ließ den Jeep an.
»Dein Eindruck?«, fragte ich »Der Kerl ist ein Händewascher.«
»Er ist Arzt.«
»Im Sinne von Howard Hughes. Ich wette, er kontrolliert jedes Schloss zweimal, zählt Büroklammern, ordnet seine Socken nach Farben.«
»Ich ordne meine Socken auch nach Farben.«
»Du bist eine Frau.«
»Ich stimme dir ja zu. Marshall ist ein Pedant. Glaubst du, dass der Poseur mehr weiß, als er sagt?«
»Er gibt ja zu, dass er mehr weiß, als er sagt. Er ist Arzt.«
»Und die anderen?«
»Groß und kräftig.«
»Das ist alles?«
»Groß und kräftig und mürrisch.«
Ich streckte die Hand aus und drehte die Klimaanlage hoch.
»Und Daniels war im Knast.«
»Wie kommst du drauf?«
»Gefängnis-Tattoos.«
»Bist du sicher?«
»Glaub mir. Ich bin sicher.«
Vielleicht war es die Hitze. Oder meine Frustration, weil ich es einfach nicht schaffte, Resultate zu erzielen. Sogar Ryan ging mir auf die Nerven.
Vielleicht ärgerte ich mich aber auch über mich selbst, weil ich die Beherrschung verloren hatte. Warum hatte ich nach Helene Flynn gefragt? War die Erwähnung ihres Namens ein guter Schachzug gewesen oder ein Fehler? Würde man bei der GMC davon erfahren? Würde Gullet es erfahren?
Mein Besuch könnte einiges in Bewegung bringen, vielleicht eine Reaktion von Herron erzwingen, die Gnadenkirche zu einer Kooperation bei den Ermittlungen in Bezug auf Helene Flynns Verschwinden motivieren.
Andererseits könnte mein kleiner Abstecher Emma in Schwierigkeiten bringen. Könnte den Sheriff wütend machen und ihn dazu verleiten, mich von den Ermittlungen auszuschließen.
Wenigstens hatte ich keine Details über Unique Montagues Tod verraten.
Beherrschung verloren und trotzdem keine Resultate.
Ich lehnte mich zurück, um nachzudenken, als mein Handy bimmelte.
Keine Resultate? O Mann, und was für Resultate wir hatten.
26
Emma klang am Telefon so vital wie seit Tagen nicht mehr. Als ich sie fragte, wie es ihr gehe, kam mal wieder ihre »Xanthippe«.
»Vierunddreißig Anrufe. Und dann Bingo. Lee Ann hat einen Zahnarzt an der Strippe, der eine Krankenakte von Willie Helms hat. Dr. Charles Kucharski. Ich habe dem alten Knaben einen Besuch abgestattet.«
»Das verstehst du also unter Beschränkung auf Papierkram?«
Emma ging nicht darauf ein. »Kucharski freute sich so über einen Besucher, dass ich schon Angst hatte, er würde mich in einem selbst gebastelten Bunker an eine Wand ketten.«
»Soll heißen?«
»Ich glaube nicht, dass sein Patientenkreis besonders groß ist.«
»Aha.« Jetzt klang ich wie Daniels.
»Kucharski erinnerte sich an Helms als einen großen, blassen Kerl, Mitte bis Ende dreißig, mit vielen nervösen Ticks. Helms’ letzter Besuch bei ihm war im April 1996.«
»Was für Ticks?«
»Unkontrollierte Hals- und Handbewegungen. Kucharski musste Helms Kopf fixieren und die Hände an die Armlehnen fesseln, wenn er ihn behandelte. Kucharski meinte, es hätte das Tourette-Syndrom gewesen sein können.«
»Gab Helms irgendwelche Kontakte an? Adresse? Arbeitgeber?«
»Helms Vater Ralph zahlte die Rechnungen. Willie gab dessen Nummer an. Als Lee Ann anrief, existierte dieser Anschluss nicht mehr. Wie sich zeigte, starb Helms’ Vater im Herbst sechsundneunzig.«
»Deshalb der Abbruch der regelmäßigen Kontrolluntersuchungen.«
»Als Arbeitgeber nannte Helms ›Johnnie’s Auto Parts‹ am Highway 52. Ein Typ namens John Hardiston kauft Schrottautos, handelt mit Altmetall und solche Sachen. Hardiston gibt an, er habe Helms wegen seiner Freundschaft mit Ralph angestellt und ihn in einem alten Wohnwagen im hinteren Teil des Hofs wohnen lassen. Helms kümmerte sich um die Hunde, war so eine Art Wachmann. Arbeitete fast zehn Jahre für Hardiston, aber eines Tages war er dann plötzlich verschwunden.«
»Wann war das?«
»Im Herbst 2001. Hardiston gibt an, Helms habe immer davon gesprochen, nach Atlanta zu gehen, deshalb habe er sich keine großen Gedanken gemacht und angenommen, er hätte jetzt endlich seine Sachen gepackt und sich auf die Socken gemacht. Hardiston sagt, Helms habe sich als guter Angestellter erwiesen, und es habe ihm Leid getan,
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