Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
ich kann keinen Telefonbucheintrag finden.«
»Cruikshank?«
So kam ich nicht weiter. Ich musste ihm etwas zum Fraß vorwerfen.
»Noble Cruikshanks Tod wird gegenwärtig als vermutlicher Selbstmord betrachtet.«
»Vermutlicher?«
»Die Ermittlungen des Coroners dauern noch an.«
»Woran arbeitete er?«
»Cruikshank hatte sich auf vermisste Personen spezialisiert.«
»Wie Lonnie Aikman?«
»Ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass Cruikshanks Tod etwas mit dem Verschwinden von Lonnie Aikman zu tun hat. Aber jetzt juckt’s mich, Mr. Winborne.«
»Okay. Susie Ruth Aikman hat wieder geheiratet. Das Telefon ist auf den Namen ihres neuen Mannes eingetragen.«
»Kann ich die Nummer haben?«
»Doc, Sie wissen doch Bescheid. Die Herausgabe dieser Information würde einen Vertrauensbruch bedeuten, ich würde damit meinen Informanten wer weiß was aussetzen.«
Inzwischen hatte ich sämtliche Backenknochen fest zusammengepresst. »Würden Sie Mrs. Aikman anrufen und sie bitten, mich zurückzurufen?«
»Sicher, Doc. Das läuft doch klasse, finden Sie nicht auch?«
Ich gab Winborne meine Nummer. Zwanzig Minuten später rief er mich zurück.
»Vor vier Tagen wurde nordwestlich von Goose Creek ein Auto aus einem Bachbett am Highway 176 gezogen. Hinter dem Steuer befand sich eine Frau.«
Winborne klang erschüttert.
»Susie Ruth ist tot.«
27
»Die Polizei fand vor Ort keinen Hinweis auf ein Verbrechen und geht davon aus, dass Susie Ruth entweder einschlief oder einen Herzanfall erlitt und von der Straße abkam.«
»Wie alt war sie?«
»Zweiundsiebzig.« Jede Fröhlichkeit war aus Winbornes Stimme gewichen.
»War sie krank? Herzprobleme? Demenz?«
»Bekannt war nichts dergleichen.«
Meine Gedanken rasten. Ein mysteriöser Verkehrsunfall mit Todesfolge würde normalerweise den Coroner auf den Plan rufen. Susie Ruth Aikmans Leiche war am Dienstag gefunden worden. Emma und ich hatten den ganzen Tag miteinander verbracht. Warum hatte sie den Tod der alten Frau nicht erwähnt? War sie zu krank dafür gewesen? Hatte sie es vergessen? Hatte sie die Bedeutung nicht erkannt?
»Hören Sie, ich habe mich nicht darum gerissen, bei Ihrer Ausgrabung herumzuschnüffeln. Das war die brillante Idee meines Chefredakteurs. Aber als Sie dann diese Knochen fanden …« Winborne zögerte, als würde er überlegen, wie viel er preisgeben und wie viel er zurückhalten sollte. »Ich bin da seit Monaten an einer Sache dran.«
Wieder eine lange Pause. Ich wartete stumm.
»Ich will das nicht am Telefon besprechen. Können wir uns morgen treffen?«
»Sagen Sie mir, wann und wo.«
»Unitarian Church, an der Kreuzung von Clifford und Archdale. Gehen sie auf dem Pflasterweg bis zu dem Durchgang, der zur King führt. Ich bin um neun dort. Ich warte zehn Minuten.«
»Ich komme allein und in Schwarz?«
»Ja, kommen Sie allein. Tragen können Sie, was sie wollen.«
Und wieder einmal lauschte ich einer toten Verbindung. In letzter Zeit passierte mir das ziemlich oft.
Beim Zubettgehen erzählte ich Ryan von meinem bevorstehenden Rendezvous mit Winborne.
»Soll ich ’ne Fahne auf den Balkon hängen?«
»O ja«, erwiderte ich. »Echt Watergate.«
Ryan zog mir den Slip aus und drapierte ihn auf dem Balkon.
Pünktlich um neun am nächsten Morgen trat ich durch das Kirchhoftor der Unitarian Church. Ryan war nebenan vor der St. John’s Lutheran Church. Glocken läuteten in der Kathedrale, der First Baptist Church, der Emmanuel African Methodist Episcopal Church, der Bethel United Methodist Church, der St. Michael’s Episcopal Church und der First Scot’s Presbyterian Church. Kein Wunder, dass man Charleston auch »Holy City« – Heilige Stadt – nennt.
Der Kirchhof war wie ein Treibhaus, in dem Wildwuchs herrschte. Üppige Bäume überwucherten den Pfad. Indischer Flieder, Wandelröschen und Taglilien beherrschten den Friedhof.
Windborne stand genau an der Stelle, die er genannt hatte, ein Bartschatten ließ sein Gesicht aussehen wie einen unausgewaschenen Aschenbecher. Plankton war vermutlich schon unrasiert gewesen, lange bevor Stoppeln schick wurden.
Winborne schaute mir entgegen, ein zögerliches Lächeln auf den Lippen.
»Guten Morgen.«
»Guten Morgen«, erwiderte ich. Wehe, du hast nichts Vernünftiges für mich, hielt ich zurück.
»Hören Sie, ich weiß, dass wir am Anfang unsere Schwierig–«
»Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Cruikshank-Geschichte zurückgehalten haben.«
»Mein Chefredakteur hat den
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