Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
nur ganz, ganz kurz nach meinem Ausschlag, verschwende keine allzu große
Sorge an mich, denn es ist doch sicherlich kein Krebsgeschwür, oder vielleicht
doch? Ach, egal, denk gar nicht an deine kranke Mutter an solch einem Abend, und
vor allem: Plane sorgfältig! Ich gebe dir eine Liste, woran du alles denken muss,
bebegim!
Kadir
seufzte. Vielleicht hätte er einen Blick auf die Liste seiner Mutter werfen
sollen, selbst auf die Gefahr hin, dass dort nicht nur ihre eigene Frage nach
dem Ausschlag notiert war, sondern zwischen Erinnerungen an Weißwein,
Platzdeckchen und höflichem Türenaufhalten auch die ärztlichen Konsultationswünsche
all ihrer Freundinnen. Statt dessen stand er nun hier wie ein Teenager bei
seinem ersten Date und war miserabel vorbereitet, hatte nicht einmal an
Aperitifs gedacht, obwohl sie ausgemacht hatten, dass Nevin Kadir zu Hause
abholen würde, da sie nie genau einschätzen konnte, wann ihre Sprechstunde zu
Ende war. Aber letztlich, dachte Kadir, war Latife schuld, dass er nicht daran
gedacht hatte, seine Alkoholvorräte aufzustocken. Als Kadir das letzte Mal Wein
in seinem Kühlschrank gehabt hatte, war seine Mutter überraschend zu Besuch
gekommen, die Arme voller Kochutensilien und Lebensmittel. Als es aus der Küche
verführerisch zu duften begann, wollte er einen Blick in die Töpfe werfen, und
hatte sie dabei überrascht, wie sie den teuren deutschen Grauburgunder in den
Ausguss goss, zwei Finger auf die Nasenflügel gedrückt. Das Zeug stinkt!, grumpfte
sie halb erstickt. Es stinkt den ganzen Kühlschrank und die Küche voll, hier
kann ich nicht arbeiten! Weg damit! Hab ich dir beigebracht, dich sinnlos zu
betrinken, immer Alkohol im Hause zu haben? Habe ich das, bebegim?
»Leider,
Nevin ...«, begann Kadir, als er ins Wohnzimmer trat, mit beiden Händen ein
Tablett umklammernd, auf der eine Wasserflasche und zwei Gläser mit
Blümchenmuster standen. »Ich habe nur Wasser oder Tee ...?«
»Oh,
Wasser ist wunderbar!« Nevin betrachtete das Häkeldeckchen, das Kadir auf dem
Tablett ausgebreitet hat. »Hübsch. Ganz reizend. Von Ihrer Mutter?«
»Nein,
von meiner Schwester. Es kommt nur bei besonderen Gelegenheiten und für
spezielle Gäste zum Einsatz.«
Kadir
spürte, wie seine Ohrenspitzen warm wurden und die Hitze sich über seinen
Nacken verteilte.
»Sevda
hat es in der zweiten oder dritten Klasse in der Grundschule im
Handarbeitsunterricht gehäkelt, mit einer Mordswut im Bauch. Eigentlich hatte
sie nämlich ein Deckchen gehäkelt, auf das sie zwei Raben gestickt hatte, die
auf einem Schneemann sitzen. Ich weiß noch, wie sie es stolz meiner Mutter
gezeigt, extra darauf hingewiesen hat, dass die Raben sich um die Möhrennase
streiten. Und meine Mutter? Hat das Deckchen mit spitzen Fingern an sich
gerissen, ein Wehgeschrei angestimmt und es dann mit der Schere zerschnitten,
in winzig kleine Stücke, so schnell, dass niemand reagieren konnte. Sevda stand
wie angewurzelt, konnte gar nicht fassen, was da passierte! Die Erklärung war
relativ einfach ...«
»Ach,
lassen Sie mich raten!« Nevin bog ihren schmalen Rücken durch und lachte
schallend. »Raben bringen Unglück! Habe ich Recht? Meine Großmutter glaubt auch
an solchen Unsinn, sie hat mich meine ganze Kindheit mit solchen unglaublichen
Vorstellungen gequält – Zeichen, Unglücksboten, Omen, Beschwörungen, keinen
Schritt konnte ich tun, ohne dass sie mich nicht am Arm zurückriss, weil
irgendetwas auf Gefahr hindeutete ach, es war gruselig. Und selbst wenn man an
diesen rückständigen Quatsch nicht glaubt, wird man doch irgendwie davon
angesteckt, nicht wahr? Man verinnerlicht es ohne es zu wollen. Ihre arme Schwester!«
»Ach,
sie hat es ganz gut vertragen. Sie musste die Arbeit eben noch mal machen, dies
Mal ohne Motiv, weshalb sie eine schlechtere Note gekriegt hat. Das hat sie
meiner Mutter dann im Triumph vorgehalten – noch heute enden ihre Diskussionen
oft mit dem Hinweis auf die Zerstörung der Rabendecke mit all ihren
fürchterlichen Konsequenzen auf die schulische Laufbahn sowie die konstante
Handarbeitsunlust meiner Schwester. Ich freue mich jedenfalls jedes Mal, wenn
ich diese Decke sehe und halte sie in Ehren.«
»Oh,
ich hätte mich noch ganz anders gerächt, glauben Sie mir!«
»Tatsächlich?
Nun ja.« Kadir trank einen Schluck Wasser und blickte in Nevins entschlossenes
Gesicht. Er hätte die Geschichte mit mehr Humor erzählen sollen, er verstand
nicht, warum ihm das nicht geglückt war und
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