Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
nicht einmal die Andeutung eines
Lächelns Nevins Lippen umspielte. Er versuchte es mit einem Witz, der ihm
bereits lahm vorkam, noch bevor er ihn ausgesprochen hatte. »Sie rächt sich
auch auf ihre Art. Sie ist Anwältin geworden.«
Nevins
Augen blitzten interessiert auf. »Oh, jetzt erinnere ich mich was Onkel Yusuf
erzählt hat! Wir reden von dieser Schwester! Fantastisch, ich bin mir
sicher, ich würde mich gut mit ihr verstehen. Sie lebt in Köln, nicht wahr? Für
wen arbeitet sie? Dort sind doch auch etliche bekannte Kanzleien, wenn ich mich
nicht irre. Mein Kusin ist bei Bittmark, Wayne & Butterfield in London,
sicher haben die auch ein Büro in Köln oder Düsseldorf. Vielleicht könnte ich
hier Kontakte vermitteln? Die brauchen immer gute Leute für Gesellschaftsrecht,
Mergers and Acquisitions, Steuerrecht – worauf ist sie spezialisiert?«
Kadir
räusperte sich und versuchte ein Lächeln zu unterdrücken. Kurz sah er das Bild
seiner Schwester, wie sie mit zersaustem Haar, Motorradstiefeln und klirrenden
Goldreifen, die ihren Unterarm fast bis zum Ellbogen bedeckten, durch den
glänzenden Empfang einer in Chrom und Weiß gehaltenen kühlen Großkanzlei
stapfte, mehrere Sicherheitsleute im Schlepptau, auf deren Halterufe sie nicht
reagierte.
»Sevda
ist darauf spezialisiert, die Witwen und Waisen zu retten.«
»Wie
bitte?«
»Sie
macht alles, es darf aber, aus nur ihr bekannten Gründen, niemals Geld
einbringen. Sie übernimmt zum Leidwesen meiner Mutter nicht nur die bedingt
hoffnungslosen sondern auch die wirklich hoffnungslosen Fälle. Am
liebsten spürt sie Kindsväter auf, die sich um den Unterhalt drücken, sie behauptet,
das wäre der hoffnungslose Jagdinstinkt, den auch unseren Onkel umtreibt, eines
Tages das perfekte Stück Sand zu finden und abzulichten. Solche Sachen würde sie
bei Bittmark, Wayne & Butterfield wohl nicht bekommen, oder? Zur Belohnung
hat sie allerdings ein eigenes Büro ganz für sich allein, es besteht aus einem
Zimmer im Souterrain, in dem es das ganze Jahr nach faulem Holz und
Wasserschaden riecht. Aber sie ist hervorragend, in dem was sie tut, und wir
sind alle sehr stolz auf sie, auch meine Mutter, obwohl sie die Hände über dem
Kopf zusammenschlägt, wenn sie in regelmäßigen Abständen hört, in welchem
Schlamassel Sevda wieder einmal steckt.«
»Aha.«
Nevin lächelte. »Ja, das denke ich mir. Ich finde, Ihre Familie hält wunderbar
zusammen, so wie es sich gehört. Aber, verzeihen Sie meine Ehrlichkeit, ich
finde es dennoch außergewöhnlich, wenn Frauen wie Ihre Schwester viel Zeit und
Energie in ihre Ausbildung stecken und dann hinter ihren Möglichkeiten zurück
bleiben. Man denke nur: so viele Jahre Jurastudium für ein stinkendes Büro und
eine Klientel, deren Honorar vermutlich vom Sozialamt bestritten wird!«
Kadir
schüttelte den Kopf, hatte das dringende Bedürfnis, seine Schwester zu
verteidigen, obgleich er wusste, dass ihr Lebensweg keiner Verteidigung
bedurfte und sie ihn wie in ihrer Kindheit in den Schwitzkasten nehmen würde,
wenn er es versuchte.
»Entschuldigung,
Kadir, ich habe Sie verletzt, das wollte ich nicht!« Nevin streckte eine Hand
aus und legte sie auf Kadirs Arm. Sie war angenehm kühl und weich und Kadir
betrachtete stumm Nevins schlanke, ringlose Finger. Er konnte nicht anders: Er
musste diese Finger bewundern, egal was Nevin sagte und ungeachtet der Tatsache,
dass er lackierte Fingernägel abstoßend fand. Das ist nicht gut, dachte er, das
ist gar nicht gut.
Als
hätte sie seine Gedanken gelesen, zog Nevin die Finger zurück und fuhr entschuldigend
fort:
»Es
bedarf einer großen inneren Stärke, sich für die Schwachen einzusetzen, ich
bewundere Ihre Schwester, glauben Sie mir! Wahrscheinlich bin ich nur ein wenig
neidisch, weil ich selbst einen so harten Weg für mich nie wählen würde, ich
wäre zu schwach, zu ungeduldig. Mir gehen meine Patienten ja schon auf die
Nerven, wenn sie meine Anweisungen nicht befolgen und sich dann darüber
beschweren, dass ihnen nicht geholfen wird. Wie viel mehr Geduld und
Einfühlungsvermögen muss man mitbringen, wenn man sich wie Ihre Schwester in
einem sozialen Milieu bewegt, das einfach nur grässlich und deprimierend ist,
nicht wahr? Nirgendwo ein Schimmer Hoffnung, nein, ich könnte das nicht!«
»Nun,
auf Sevda färbt das nicht ab, ich habe sie jedenfalls noch nie deprimiert
erlebt. Sie ist wunderbar, ich hoffe, Sie haben wirklich einmal Gelegenheit sie
kennen zu
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