Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
doch, er ist an der
Botschaft in Tel Aviv, vorher war es Teheran. Er behauptet, die Regierung
schicke ihn alphabetisch sortiert durch die Welt und wenn er bei Z ist, wird er
endlich pensioniert.«
»Oh,
da hat er schon einiges gesehen von der großen weiten Welt, nicht wahr?«
»Hat
er, ich aber auch, denn beim Buchstaben D wurde ich geboren und bei O bin ich
von zu Hause ausgezogen. Zu Hause! Das sagt sich so leicht dahin. Ich bin aus
dem Haus ausgezogen, in dem wir damals gerade wohnten, ich kann mich kaum noch
erinnern, wie es dort aussah. Was war das noch mal für eine Stadt mit O? Keinen
Schimmer mehr … diese Karte ist die Hübscheste, nicht?«
»Sie
könnten doch per E-Mail Kontakt zu Ihrem Herrn Vater halten?«
»Mein
Papa und Computer? Sie Ahnungsloser! Seine Sekretärin muss ihm die Mails
ausdrucken und in einer Mappe vorlegen und dann krickelt er seine Antwort handschriftlich
darunter und verschickt das Ganze per Post. Da ist er stur.«
»Sie
scheinen ihm ähnlich, nicht wahr, Fräulein Seda?«
Seda
grinste.
»Ziemlich.
Und weil auch ich so stur wie ein Ochse sein kann, werde ich Kadir nichts
erzählen, ich denke gar nicht daran! Das soll er mal schön selbst rauskriegen,
ich habe Deniz versprochen nichts zu sagen – dass ich es Ihnen mitgeteilt habe,
liegt nur daran, weil ich Ihre Meinung als Kommissar, sozusagen als Experte,
hören wollte.«
»Danke
ergebenst für die Wertschätzung. Aber wir wollen korrekt bleiben und uns nichts
anmaßen: Ex-Kommissar, bitteschön.«
Schmalfuß
hüstelte bescheiden.
»Ich
will nicht, dass der arme Junge sich in die Nesseln setzt, er hat bestimmt
nichts getan! Wenn sie ihn kennen würden, wären Sie ganz meiner Meinung, er
sieht so harmlos aus wie ein possierliches Kuscheltierchen, obgleich er so
gigantisch wuchtig und groß ist. Er hat dunkle Kulleraugen wie ein winzigkleines,
niedliches Schäfchen!«
Seda
klimperte mit den Wimpern und versuchte mit geneigtem Kopf wie ein
mordunlustiges Schäfchen auszusehen, und Herbert Schmalfuß nickte ernst. Er
hatte verstanden. Natürlich konnte ein Freund von Seda kein Mörder sein, das
war, als klagte man sie höchstpersönlich an.
Sie
schlenderten weiter über die belebte Einkaufsstraße. Touristen und Einheimische
quetschten sich mit Taschen und Tüten beladen aneinander vorbei, Verkäufer
standen rauchend vor der Ladentür und behielten die Auslagen im Auge. Seda
sprang schimpfend zur Seite, als ein Moped hupend an ihr vorbeiknatterte.
Als
Schmalfuß sie freudig an der Rezeption begrüßt hatte, hatte sie ihn am Arm
beiseite gezogen und ihm konspirativ ins Ohr geflüstert, dass sie Neuigkeiten
in Sachen Poolmord habe und ob sie sich irgendwo ungestört unterhalten könnten.
Schmalfuß hatte bedächtig genickt und zurückgeflüstert, dass die beste Tarnung
ein Bad in der Menge sei, denn nirgends sei der Mensch einsamer und unbeobachteter
als im Gewühle, und so hatten sie sich auf den Weg zur Shopping-Meile von Dereköy
gemacht.
»Ohhh,
sehen Sie mal, Kommissar Schmalfuß, was für hübsche Goldohrringe!«, rief Seda
auf Türkisch. Sie grabschte in die Auslage und hielt zwei tropfenförmige Goldstecker
hoch. Der Ladenbesitzer zuckte bei dem Wort »Kommissar« zusammen und wandte
sich hastig einer älteren Dame zu, die prüfend eine perlmuttfarbene Perlenkette
gegen das Licht hielt.
»Was
für ein Preis, niemals zahle ich diesen Preis! Für die Hälfte würde ich sie
nehmen, hallo, hören Sie mich, was meinen Sie, die Hälfte?«
Schmalfuß
ließ Seda feilschen, kreuzte die Arme vor der Brust und wippte bedächtig auf
und ab. Er musste Seda überzeugen, dass sie ihr Wissen an Bülbül weitergab,
denn es wäre schlimm für den Jungen, wenn Kommissar Dalga als Erster hinter die
Sache käme. Bülbül würde schon wissen, was zu tun wäre, außerdem brauchte er
jede Information, die er kriegen konnte. Herbert, Herbert, schimpfte Schmalfuß
im Stillen mit sich, du tust dies auch und vor allem, damit du und der junge
Türke den Fall gemeinsam löst und Kommissar Dalga stellvertretend für den
Hamburger Polizeipräsidenten im Regen steht.
Schmalfuß
betrachtete Sedas entschlossenes Profil, die Hand, die energisch mit den
Ohrringen vor dem Gesicht des Ladenbesitzers wedelte. Langsam rutschten dessen
Schultern um wenige Millimeter nach unten, es war nur eine winzige Bewegung,
doch Schmalfuß wusste, dass Seda gewonnen hatte. Dies stimmte sie hoffentlich
milde, und er würde einen erneuten Anlauf wagen, sie zu
Weitere Kostenlose Bücher