Halsabschneider. Kadir Bülbüls erster Fall
Dereköy
gefahren, und der fremde Junge neben ihm hatte ihn gefragt, woher er käme. - Aus
Dereköy – Ach, Quatsch, du bist nicht von hier! – Nun, wir leben in
Deutschland, aber ... – Ahh! Dachte ich es mir doch. Das sieht man. -
Woran?
Kadir verstand es nicht, aber er begriff nun, warum er ein so mulmiges Gefühl
gehabt hatte, dass Annika es aufregend und ungewöhnlich fand einen Türken zum
Freund zu haben. Warum hatte sie nicht gesagt, dass sie noch nie mit einem
Jungen mit dunklen Haaren oder einem, der ständig Goethe deklamierte, gegangen
war? Das hätte ihn eher identifiziert, damit hätte er sich wohlgefühlt. Kadir
seufzte und bohrte mit den Zehen im Sand. In Deutschland fühlte er sich
türkisch, weil er ständig darauf hingewiesen wurde, dass dies seine Herkunft
war und in Dereköy sah man ihm auf einmal an, dass er aus Deutschland kam. Und
er selbst schnupperte vergebens nach dem Vertrauten in der salzigen Seeluft und
fand nur, dass es ungewöhnlich fremd roch.
»Fühlen
Sie sich hier noch fremd, Kadir? Sie sind doch hier geboren und nun schon
wieder ein paar Jahre hier?«
Kadir
schüttelte die Erinnerungen ab und hob den Kopf.
»Fremd
schon, bis zu einem gewissen Grad. Aber es ist kein Fremdsein mehr, das mich
beunruhigt. Mich hat es früher gestört, dass ich mich irgendwo schlitternd
zwischen zwei Kulturen befand. So wie ein drittes Kind auf einer Wippe,
verstehen Sie? Zwei Kinder sitzen sicher im Sattel, klammern sich an den Griffen
fest, wissen genau, wie sich die Dinge abspielen und fühlen sich geschützt, und
man selbst rutscht dazwischen haltlos hin und her. Und manchmal fällt man übel
hin, weiß aber, dass man sofort wieder auf die rutschige Stange muss.«
»Verstehe.
Und nun haben Sie die goldene Mitte erreicht und schauen gelassen zu, wie die
anderen beiden Kinder wippen?«
»So
ungefähr.«
»Nun,
ich war immer nur kurz im Ausland. Ich beneide Sie nicht darum, dass Sie als
Kind Ihre vertraute Umgebung verlassen mussten, aber ich empfinde es als Manko,
dass ich so wenig andere Länder kenne.«
»Aber
Sie stammen aus Istanbul, da haben Sie doch das Beste aus Ost und West von
Anfang an gehabt!«
»Ja,
das ist schon richtig. Ich möchte auch unbedingt dorthin zurück, eines Tages.«
Nevin
nahm ihr Glas und betrachtete Kadir über den Rand hinweg.
»Nun,
eigentlich nicht eines schönen Tages, ich mag Leute nicht, die unpräzise
Vorstellungen haben. In fünf Jahren spätestens bin ich wieder in Istanbul, habe
ein Sechszimmerhaus mit Garten in einem schönen Viertel, so etwas wie Bebek,
zwei Kinder, auf die…« Nevin lachte und trank einen Schluck, »auf die eine
Nanny aufpasst und mein Mann und ich verdienen so gut, dass ich es mir leisten
kann, mehrmals im Jahr in Urlaub zu fahren, Italien, Spanien, Skandinavien,
auch Deutschland! Kadir, Sie müssen mir unbedingt Deutschland zeigen, die Berge
im Süden, das Meer im Norden, in dem es zu kalt zum schwimmen ist wie Onke
Yusuf mir erzählt hat.«
»Oh,
gerne, aber was würde Ihr Mann dazu sagen, wenn wir gemeinsam auf Reisen
gingen?«
Kadir
grinste. Endlich hatte er seine distanzierte Schlagfertigkeit wiedergefunden,
etwas, was ihm schon den ganzen Abend abhanden gekommen zu sein schien. Bei
jeder seiner unspektakulären Antworten hatte er sich innerlich gekrümmt und sich
gefragt, ob sich bei Nevin der Eindruck verfestigte, dass er ein langweiliger
Hanswurst war.
»Mein
Mann? Was mein Mann dazu sagen würde?«
»Ich
sehe in dem Haus, in dem die zwei Kinder die Treppen hinauf- und hinunterjagen
auch einen gutaussehenden, jedoch eifersüchtigen Ehemann, der etwas dagegen
hätte, dass Sie mit mir durch Deutschland touren.«
Nevin
lachte und warf den Kopf nach hinten.
»Ja,
den Ehemann, den gibt es natürlich auch! Eigentlich ist er ein Ärgernis, nicht
nur, weil er uns auf unseren Reisen stört, sondern vielmehr, weil es ihn schon
seit geraumer Zeit geben sollte. Ich wollte ursprünglich sofort nach dem Studium
heiraten, wusste dies schon mit zwölf oder dreizehn Jahren, war sicher, dass
mir der passende Mann an der Uni über den Weg laufen würde. Aber irgendwie
hatte ich kein Glück, und die Männer, die mir meine Mutter präsentierte, fand
ich furchtbar langweilig und gelackt. Und dann war ich so damit beschäftigt irgendwo
eine Stelle zu finden, dass ich die Ehemannsuche zurückstellen musste. In
Istanbul fand ich nichts, weder Mann noch Stellung, selbst über die Beziehungen
meines Vaters war dort an den Kliniken nichts zu
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