Halte meine Seele
die niemand so recht nachvollziehen konnte. Nicht einmal Doug. Doch als ich Scotts Hand zucken sah, wusste ich Bescheid.
Scott war auf Entzug. Und zwar richtig. Das war mehr als nur Lust auf einen Trip – er war abhängig, und zwar körperlich, geistig und vielleicht sogar seelisch. Ohne Frost konnte er nicht mehr funktionieren.
Aber wie war das möglich? Nach einem einzigen, immer noch halb vollen Ballon. Warum war das so schnell gegangen?
Mir wurde ganz schlecht vor Angst. War es ein Fehler gewesen, den Ballon zu klauen? Harmony zufolge konnte der Entzug genauso tödlich enden wie die Droge selbst …
Sollten wir ihm den Ballon etwa wieder zurückgeben? Das Risiko eingehen, dass Dougs Hirn unwiderruflich geschädigt wurde, und Sophies vielleicht gleich mit?
„Alter, beruhige dich.“ Zu meiner Erleichterung klang Dougs Stimme zwar belegt, aber gefasst. Aus irgendeinem Grund schien er nicht ganz so süchtig zu sein wie Scott, auch wenn er mehr Frost konsumiert hatte. „Oder willst du dem Coach erklären müssen, warum du hier so rumschreist?“
Ein Stirnrunzeln war Scotts einzige Antwort darauf, bevor er weiter die Tasche durchwühlte. Doch zumindest schimpfte er jetzt so leise vor sich hin, dass die Aufsicht habenden Lehrer nicht stutzig wurden.
Nash kniete sich neben die Fahrertür und inspizierte mit von der Kälte geröteten, aber erstaunlich ruhigen Händen die Fensterdichtung. „Sieht nicht so aus, als hätte jemand die Tür mit Gewalt aufgebrochen. Aber man braucht auch nur einen Kleiderbügel oder etwas Ähnliches …“ Er wischte sich die Hände an der Jeans ab und betätigte ein paarmal die Verriegelung, um zu demonstrieren, dass sie noch funktionierte. „Scheint nichts kaputt zu sein …“
Doch Scott hörte ihm gar nicht zu. Er wühlte immer noch hektisch in der Tasche rum, als könne er irgendwo zwischen seinen verschwitzten Sportsachen einen halb gefüllten schwarzen Luftballon übersehen haben.
Ich blickte mich suchend nach Sophie um und entdeckte sie bei einer Gruppe Cheerleader, die gerade einen Haufen Farbeimer und Pinsel aus Lauras Auto auslud. Die waren wahrscheinlich für die Bemalung der Stände für den Weihnachtsmarkt bestimmt.
„Was ist denn los mit ihm?“, flüsterte Emma, die Scotts Verhalten gar nicht fassen konnte. „Der tickt ja völlig aus.“
Schulterzuckend schob ich die Hände in die Hosentaschen. „An Frost kommt man anscheinend ziemlich schwer ran.“
Em stieß verärgert eine weiße Atemwolke in die Luft aus. „Was ist das überhaupt? Irgendwas zum Schnüffeln?“
„Keine Ahnung.“ Es fiel mir schwer, Emma anzulügen, auch wenn es zu ihrem Besten war, deshalb streute ich noch ein Fünkchen Wahrheit ein. „Aber was Gutes ist es bestimmt nicht, Em. Schau dir nur an, was aus Scott geworden ist.“
Es war beängstigend: Scott war kurz vorm Explodieren. Zum Glück hatten sich – bis auf die Hauptakteure – die meisten Schaulustigen verzogen, denn kurz darauf scheiterte Dougs und Nashs Versuch, ihn zu beschwichtigen.
„Scheiß doch drauf!“ Scott schleuderte die Tasche ins Auto, wo sie gegen das Beifahrerfenster prallte und in den Fußraum fiel. „Ich muss hier weg.“ Er setzte sich hinters Steuer und rammte den Schlüssel ins Zündschloss. Dann raste er mit quietschenden Reifen quer über den Parkplatz, so schnell, dass sich ein paar der in der Nähe parkenden Schüler nur mit einem Hechtsprung zur Seite retten konnten.
Auch die Lehrer am Westausgang konnten nicht viel mehr tun, außer die Köpfe zu schütteln und zu hoffen, dass niemand überfahren wurde. Und den Rektor später zu bitten, Scott die Parkberechtigung zu entziehen.
Als sein Wagen außer Sicht war und Nash leise mit Doug tuschelte, bemerkte ich, dass Sophie allein auf dem Parkplatz stand, einen Farbeimer in der Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde war der übliche arrogante Ausdruck aus ihrem Gesicht verschwunden, und sie sah verletzt und enttäuscht aus. Doch schon im nächsten Moment tippelte sie wieder selbstbewusst in ihren Ballerinas über den Parkplatz und tat so, als störe es sie überhaupt nicht, dass ihr Freund gerade wortlos abgehauen war und sein Versprechen gebrochen hatte.
Und das vor aller Augen.
„Bist du sicher, dass Scott in dem Zustand Auto fahren kann?“, fragte ich. Nash stützte die Arme rechts und links von mir gegen das Autodach. Ich war gefangen, und das gefiel mir; als er sich zum Küssen vorbeugte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und
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