Halte meine Seele
gut“, sagte er zu guter Letzt. „Aber wenn du wegläufst, wird er dich ausweiden wie ein Opferlamm auf dem Altar.“
Vom Herzklopfen brummte mir der Schädel, und das Adrenalin in meinen Adern machte den Fluchtreflex übermächtig. Ich wusste, was zu tun war, aber konnte ich es wirklich durchziehen? Scott war ein ganzes Stück größer als ich und deutlich schneller und stärker, und hinter der Tür war mir Nash nicht gerade eine große Hilfe.
Langsam ließ Scott das Messer sinken, und ich spürte, wie mir das Blut über den Hals lief. Doch schon im nächsten Moment bohrte sich die Spitze der Klinge durch meine Jacke und das T-Shirt hindurch in meinen Rücken. „Oh ja, das ist gleich viel besser“, stöhnte ich. Nicht einmal in Todesangst konnte ich meinen Sarkasmus zurückhalten.
Ich versuchte angestrengt, durch die Tür mit Nash zu kommunizieren. Wenn Banshees doch nur telepathische Fähigkeiten hätten! Aber leider war das nur eine von vielen coolen Superkräften, die mir nicht geschenkt worden waren.
„Also gut, das wird sich jetzt gleich ein bisschen komisch anfühlen“, sagte ich warnend, schloss die Augen und wünschte mir Glück. „Deine Haut wird prickeln, und du wirst das Gefühl haben, dass du fällst.“ Was eine glatte Lüge war. Nash hörte auf, gegen die Tür zu hämmern, weil er meine Worte gehört hatte. Er wusste, dass ich log, und folgerte daraus hoffentlich, dass ich keineswegs beabsichtigte, Scott in die Unterwelt zu bringen.
Als er jedoch kapierte, was ich wirklich vorhatte, warf er sich so heftig gegen die Tür, dass sie fast aus den Angeln flog.
„Flipp also nicht gleich aus, wenn du das Gleichgewicht verlierst, okay?“, sagte ich. Hier ging es um Scott, da konnte ich keine Rücksicht auf Nash nehmen. „Bereit?“
„Ja“, antwortete Scott leise und krallte sich an meinen Arm. Er hatte wahnsinnige Angst.
Sehr gut. Dann waren wir ja schon zu zweit.
Ich holte noch einmal tief Luft. Und dann warf ich mich nach vorne, weg vom Messer, und riss mich los. Scott brüllte auf. Als er mit dem Messer nach mir stieß, riss ich schützend den Arm hoch. Ein scharfer Schmerz explodierte in meinem Unterarm. Schreiend trat ich nach Scott und erwischte ihn mit dem Fuß an der Hüfte, sodass er gegen den Schreibtisch taumelte. Dabei stolperte er über seine eigenen Füße und ging wie vom Blitz getroffen zu Boden.
Noch bevor er auf dem Teppich landete, rannte ich zur Tür und schaffte es nach zwei Anläufen, den Schlüssel zu drehen und sie aufzureißen. Sofort stürmte Nash herein und stellte sich, bis auf seine Wut unbewaffnet, schützend vor mich.
Scott lag, das Messer in der schlaffen Hand, auf dem Boden und rührte sich nicht.
War er tot? Hatte dieser Schattenmann recht behalten, und er war gestorben, weil er nicht in die Unterwelt gelangt war? Nein, sein Brustkorb hob und senkte sich – er war bloß ohnmächtig. Beim Sturz hatte er sich den Kopf am Schreibtisch angeschlagen und war bewusstlos geworden.
Nash hatte bereits die Notrufnummer gewählt, bevor ich überhaupt begriff, was passiert war. Ich bekam nur noch am Rande mit, wie er der Polizei erklärte, dass sein bester Freund, Scott Carter, verrückt geworden war. Dass er mich mit einem Messer angegriffen hatte, sich im Gerangel den Kopf an einem Tisch gestoßen hatte und jetzt bewusstlos war.
Die Polizei versprach, sofort jemanden zu schicken.
Als Nash gerade dabei war, meinen Arm mit einem Geschirrtuch zu verbinden, hörten wir bereits die Sirenen. „Halt dich an das, was ich sage“, sagte Nash eindringlich, als das Blaulicht durch die Wohnzimmerfenster fiel. Behutsam führte er mich zum Sofa im Wohnzimmer hinüber. „In der Schule werden sie unsere Version bestätigen. Alle haben gesehen, wie verrückt er sich aufgeführt hat.“
Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen, als mir die Tränen in die Augen stiegen. „Du willst ihn einweisen lassen …“, flüsterte ich und wusste selbst nicht, ob es eine Frage oder eine Feststellung war.
„Wir haben keine andere Wahl“, erwiderte er und ging zur Tür, um die Sanitäter reinzulassen. „Wir können ihm jetzt nicht helfen, und wenn er niemandem schaden soll, müssen wir ihn wegsperren.“
„Das ist alles unsere Schuld, Nash“, sagte ich schluchzend. „Wir hätten schon viel früher was unternehmen müssen.“ Mit dem unverletzten Arm wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Ich weiß.“ In seinen Augen spiegelten sich Trauer, aber auch Bedauern und Reue.
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