Halte meine Seele
wäre? „Ich dachte, sie wäre tot.“
„Genauso wie ich.“ Todd legte die Gabel auf den mit Sirup verschmierten Teller. „Du darfst dir den Tod nicht als das Ende von allem vorstellen. Es stimmt, meistens werden die Seelen recycelt, aber wenn nicht, dann kann man auf ziemlich viele unterschiedliche Arten tot sein, ob nun mit oder ohne Körper, Erinnerungsvermögen oder Seele. Addy besitzt noch alles außer ihrem Körper, und den vermisse ich nicht einmal, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.“ Er breitete demonstrativ seine kräftigen Arme aus und stieß der Kellnerin, die gerade vorbeilief, fast das voll beladene Tablett aus der Hand.
„Ich weiß. Aber warum hat Addy noch eine Seele, obwohl sie sie an Avari verscherbelt hat?“
„In der Unterwelt ist sie mit ihrer Seele vereint worden, auch wenn er sie immer noch besitzt. Deswegen auch die andauernde Folter.“
„Ach so.“ Ich nahm mir im Stillen vor, das nächste Mal meinen Mund zu halten, wenn ich von etwas keine Ahnung hatte. Und mich nicht mehr einzumischen, wenn Todd unsichtbar bleiben wollte – ich konnte es zwar selbst kaum glauben, aber auf die Art verursachte er weniger Ärger. „Halt einfach die Ohren offen, wenn du dort bist, okay?“
Todd nickte widerwillig, und sein Unmut war verständlich. In der Unterwelt konnte ein Reaper nur von zwei seiner vielen Spezialfähigkeiten Gebrauch machen: Er konnte Seelen einsammeln und zurück in die Menschenwelt wechseln. Aber er konnte sich weder unsichtbar machen noch durch Wände laufen oder sich ausgewählten Personen im Raum zeigen.
Da unten war er praktisch ein Mensch, und diese Vorstellung schien ihm gar nicht zu behagen.
„Und du, was ist dein Plan?“ Er warf einen Blick auf die Uhr über der Küchentür. „Wir müssen uns noch neun Stunden um die Ohren schlagen. Acht, wenn du früher da sein willst.“
Ohne Zweifel wollte ich das.
„Ich werd sehen, ob ich mich bei Emma aufs Ohr hauen kann. Es ist doch in Ordnung, ihr von meinen Schlafproblemen zu erzählen, oder? Im Endeffekt hat sie nichts mit der Frost-Epidemie oder Nashs Verschwinden zu tun.“
Leider schüttelte Todd den Kopf. „Du solltest dich lieber eine Weile von Emma fernhalten, Kay.“
Ich zögerte, die Kaffeetasse in der Hand auf halbem Weg zum Mund. „Warum?“ Wir konnten doch aufeinander aufpassen. Sie auf die Dämonen in meinen Träumen und ich auf die Dämonen in ihrem Körper. „Ich muss wissen, ob Avari wieder in ihren Körper schlüpft.“
Todd beugte sich über den Tisch und musterte mich eindringlich. „Schon klar, aber die Wahrheit ist, dass es wahrscheinlich gerade dann passiert, wenn du dich in ihrer Nähe aufhältst. Emma ist der direkte Draht zu dir. Aber wenn du nicht da bist, wird sie auch niemand dazu benutzen, mit dir zu sprechen.“
Emma war also am sichersten, wenn ich mich von ihr fernhielt.
Schöne Scheiße. Dann bin ich heute wohl auf mich allein gestellt.
„Zwischen meinem Besuch bei Addy und der ersten Schicht habe ich ein bisschen Zeit.“ Todd musste zur Arbeit gehen, wenigstens die Hälfte der Zeit, denn ein Reaper ohne Job war ein toter Reaper, und ein toter Reaper brachte niemandem etwas. „Dann komm ich bei dir vorbei, und du kannst ein bisschen schlafen.“
Allein der Gedanke an Schlaf brachte mich zum Gähnen. „Danke.“ Ein Nickerchen klang verdammt gut. Vorausgesetzt, ich blieb lange genug in meiner Welt, um es zu genießen.
22. KAPITEL
Im Laufe der nächsten Stunde trank ich eine ganze Kanne Kaffee, blockierte zwei Anrufe von Harmony und Sophie und telefonierte stattdessen mit Emma und Dad. Emma war am Weinen und ließ sich erst nach zwanzig Minuten halbwegs beruhigen. Weil Dougs Vater ein hohes Tier war und damit drohte, das Krankenhaus zu verklagen, lief die Meldung über Dougs Tod im Regionalfernsehen rauf und runter. Ich hätte Emma schrecklich gern getröstet, aber nach Todds Warnung blieb ich lieber zu Hause auf der Couch sitzen und sagte mir immer wieder, dass ich Emma einen Gefallen tat, wenn ich mich von ihr fernhielt.
Dad wollte nur hören, ob alles in Ordnung war. Es fiel mir wahnsinnig schwer, ihn anzulügen, aber wenn er gewusst hätte, dass ich allein war, hätte er alles stehen und liegen gelassen und wäre hergekommen, um mich beim Schlafen zu bewachen – und dafür wahrscheinlich gefeuert worden.
Sophie hinterließ mir eine wütende Nachricht auf der Mailbox: Warum meine Anwesenheit auf Partys – oder wo auch immer – eigentlich immer zu
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