Halte meine Seele
einer Katastrophe führen musste? Sie hatte die Nachrichten gesehen und wusste von einer Freundin, dass Nash und ich auch eingeladen gewesen waren. Zum Glück hatte sie keine Ahnung, dass Nash verschwunden war, und so blieb es mir erspart, sie anzurufen und zu fragen, ob sie ihn vor seinem Verschwinden gesehen hatte.
Harmony rief auf dem Festnetz an und wollte wissen, ob Nash bei mir war, weil er nicht ans Handy ging. Sie schien noch nicht ernsthaft besorgt zu sein, weil sie gerade erst heimgekommen war und nicht wusste, wie lange er schon weg war. Aber das würde sich mit Sicherheit ändern, wenn sie länger nichts von ihm hörte. Ganz besonders dann, wenn sie in den Nachrichten von Dougs Tod erfuhr.
Bevor sie auflegte, sagte sie noch, dass sie eine Möglichkeit gefunden habe, wie ich schlafen und dabei in unserer Welt bleiben konnte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, aber ich konnte unmöglich rangehen und sie auch noch anlügen. Schlimm genug, dass ich Dad angelogen hatte, aber Nashs Mom? Unmöglich.
Eine Stunde nach dem Anruf saß ich zitternd auf dem Sofa, nippte an der letzten Dose Red Bull und sah mir den lautesten Actionfilm an, den ich hatte finden können. Ich trug nur Jeans und ein T-Shirt und hatte alle Fenster sperrangelweit aufgerissen. Die Kälte sollte mir helfen, wach zu bleiben. Als mir trotz des Koffeins, der Kühlschranktemperaturen und des Geballers langsam die Augen zufielen, schreckte mich das schrille Klingeln des Telefons auf.
Eine unbekannte Nummer, also ging ich nicht ran, sondern starrte wie gebannt auf das Display. Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
Dad bat den Anrufer, nach dem Ton eine Nachricht zu hinterlassen, doch auf den schrillen Piepton folgte nur leises Rauschen. Wahrscheinlich verwählt. Gott sei Dank.
Doch im nächsten Moment hörte ich eine wohlbekannte Stimme meinen Namen rufen und fiel vor Schreck fast vom Sofa.
„Kaaayleeee!“ Das war Avari! Wie krass, die Stimme eines Hellion auf meinem normalen, von Menschenhand hergestellten Anrufbeantworter zu hören. „Ich weiß, dass du da bist. Wo solltest du sonst sein, so ganz alleine, ohne deinen Freund, der dich warm hält, und deinen Vater, der dich beschützt?“
Was?
Ich kletterte so schnell über das Sofa, dass ich mir den verletzten Arm anstieß, doch die Angst dämpfte den Schmerz. „Was hast du mit meinem Dad zu schaffen?“, fragte ich, noch bevor ich den Hörer am Ohr hatte.
„Er sitzt mir gerade gegenüber, bewusstlos, aber am Leben. Zumindest noch.“
„Du lügst doch!“, schrie ich panisch. „Er kann ja nicht mal alleine rübergehen!“
Avari lachte, ein Geräusch wie klirrendes Eis. „Genauso wenig wie Mr Hudson, und doch sind beide hier und warten darauf, von dir gerettet zu werden.“
Nein! Das war eine Lüge. Es musste eine sein! „Beweis es mir!“
Wieder hörte ich ihn lachen, so herzlos, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. „Dein Vater ist ziemlich groß, aber ungefähr so Furcht einflößend wie ein Teddybär. Und wenn er im Schlaf redet, so wie jetzt, dann nennt er dich ‚Kay-Bär‘. Außerdem ruft er nach irgendeiner Frau namens Darcy, bei der es sich wahrscheinlich um deine unglücksselige Mutter handelt.“
Verzweifelt sank ich auf die Couch. Ich hörte und fühlte nichts außer dem lauten Klopfen meines Herzens und einer bleiernen Taubheit in meinem Körper.
„Was willst du von mir?“, flüsterte ich, als ich mich wieder gefasst hatte; meine Stimme schien von ganz weit herzukommen.
„Diese Frage habe ich dir schon beantwortet“, erwiderte Avari. „Und die Antwort ist noch dieselbe. Wenn du sofort herkommst, lasse ich sie gehen.“
Oder aber er würde uns alle drei gefangen halten, womit ich offiziell zum dümmsten Mädchen des ganzen Planeten abgestempelt wäre. Würde er sie töten, wenn ich mich weigerte? Konnte ich ihn irgendwie reinlegen oder wenigstens Zeit schinden?
Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen, und ich umklammerte verzweifelt das Telefon. Diesmal stammte meine Gänsehaut nicht von der Kälte im Zimmer.
„Was ist los, Kaylee?“ Todd stand plötzlich vor mir und musterte mich besorgt. Ich war so durcheinander, dass mich sein unerwartetes Auftauchen nicht einmal erschreckte. „Und warum ist die Luft hier drinnen kälter als Eisbärenpisse?“
„Pst …“, flüsterte ich und hielt den Hörer zu, während ich mir mit der anderen Hand die Tränen von den Wangen wischte.
Er winkte ab. „Mich kann sowieso niemand hören. Wer ist
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