Halten Sie sich für schlau?: Die berüchtigten Testfragen der englischen Elite-Universitäten (German Edition)
behandelt zu werden – vielleicht haben sie sogar ein größeres Recht darauf, schließlich haben sie ihr ganzes Arbeitsleben lang in die Sozialkassen eingezahlt. In Deutschland wird jedermann kostenlos behandelt. Alte Menschen bilden da keine Ausnahme. Das System ist ganz einfach: Wer krank ist, wird behandelt.
Doch leider erfüllen Gesundheitssysteme diesen Anspruch nicht immer. Das zeigte sich in England, wo die British Geriatric Society eine Umfrage unter den Ärzten des staatlichen Gesundheitssystems durchführen ließ. Darin erklärte mehr als die Hälfte der Befragten, was sie heute im Alltag der medizinischen Versorgung erlebten, ließe sie für ihr eigenes Alter Schlimmes ahnen. Die meisten Ärzte waren der Ansicht, dass alte Menschen oberflächlicher untersucht würden. Wenn betagte Patienten über Beschwerden klagten, gingen Ärzte oft einfach davon aus, dass die Symptome altersbedingt seien, ohne weiter nach den Ursachen zu forschen.
Natürlich sind viele Gesundheitsprobleme alter Menschen unvermeidliche Begleiterscheinungen des Alterns. Das bedeutet aber nicht, dass es dafür keine Behandlungsmöglichkeiten gibt. Oft sprechen alte Menschen auch schlechter auf Therapien an als junge Leute. Deswegen wird manchmal gefordert, die knappen Ressourcen des Gesundheitssystems vornehmlich zur Behandlung jüngerer Menschen einzusetzen, bei denen die Investition eine deutlichere Erhöhung der Lebensqualität bewirkt. In Großbritannien, wo das Gesundheitssystem ebenfalls die gleichberechtigte Behandlung aller Kranken vertritt, gibt es Hinweise darauf, dass alte Menschen als Patienten zweiter Klasse behandelt werden. Zum Beispiel müssen diese für Hüft- oder Kniegelenksoperationen, (die typischerweise von alten Menschen benötigt werden) längere Wartezeiten in Kauf nehmen. Frauen über 70 werden im Unterschied zu jüngeren Frauen nicht mehr automatisch an die nächste Mammografie erinnert. Ältere Frauen mit Brustkrebs bekommen mit geringerer Wahrscheinlichkeit das ganze Spektrum der Krebsbehandlung angeboten.
2005 sorgte die Aussage des dem deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vergleichbaren Verbands in Großbritannien für Aufregung: »Wenn das Alter Indikator für den Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung ist, kann Altersdiskriminierung angemessen sein.« Die Wohlfahrtsorganisation Help The Aged, die sich der Seniorenfürsorge widmet, entgegnete verärgert: »Diese Ansichten verstärken das in der Bevölkerung bereits verbreitete Vorurteil, dass das Leben alter Menschen weniger wert ist.«
Es ist vielleicht verständlich, dass über Einschränkungen in der Behandlung alter Menschen nachgedacht wird. Dem Anschein nach ist es sinnvoller, die besten (und teuersten) Behandlungsmethoden eher 19-Jährigen zukommen zu lassen, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben, anstatt 89-Jährigen, die sich schlechter erholen und für erneute Erkrankungen anfälliger sind. Krankenhausverwaltungen und Ärzte könnten anführen, dass man angesichts chronischer Überlastung schlicht Prioritäten setzen müsse. Oft herrscht auch die Einstellung, dass alte Leute ihren »gerechten Anteil« bereits erhalten hätten. Ärzte, die 89-Jährige mit der gleichen Leidenschaft behandeln wie 19-Jährige, müssen sich zuweilen der Tatsache stellen, dass sie auf verlorenem Posten kämpfen, da sie keine dauerhafte Genesung bewirken können und letztendlich den Tod des Patienten akzeptieren müssen. An welchem Punkt geben die Ärzte auf?
Aber es gibt ein Problem mit übergroßem Pragmatismus. Unser Gesundheitssystem strebt ein Ideal an – bestmögliche Versorgung für jedermann –, das man nicht leichtfertig aufgeben sollte. Für jeden einzelnen Patienten sind Gesundheit und Leben die höchsten Güter. Der Grundidee unseres Gesundheitssystems nach darf es kein Abwägen geben zwischen der Gesundheit einzelner Patienten. Jeder sollte die bestmögliche Behandlung bekommen. Eine Lockerung dieses Prinzips unterminiert die beruhigende Gewissheit, im Krankheitsfall behandelt zu werden. Und wer möchte Ärzten die schwierige Entscheidung aufbürden, welcher Patient eine Behandlung verdient und welcher nicht?
Klar, die Gesundheitsausgaben steigen Jahr für Jahr und der Anteil alter Menschen erhöht sich ebenfalls. Heute sind bereits mehr als 20 Prozent der Deutschen über 60 Jahre alt, und alte Menschen werden nun einmal öfter krank. In England sind 55 Prozent aller 75- bis 84-Jährigen krank oder
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