Halten Sie sich für schlau?: Die berüchtigten Testfragen der englischen Elite-Universitäten (German Edition)
aus der Zeitung, vielleicht fällt einem auch ansonsten noch der eine oder andere ein – Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf usw. Aber wie viele gibt es insgesamt? Fünf? Nein, das scheint deutlich zu wenig. 20? Wenn man eine ungefähre Vorstellung von der Größe der Bezirke hat, ahnt man sofort, dass 20 reichlich hoch gegriffen ist. Also irgendetwas dazwischen. Sagen wir zehn. Nehmen wir außerdem der Einfachheit halber an, dass alle Stadtbezirke etwa gleich groß sind. Dann kommen wir auf einen Schätzwert von 3,5 Millionen geteilt durch 10 gleich 350 000. Bravo! Unsere grobe Schätzung kommt dem tatsächlichen Wert von 300 000 recht nahe. (Wer weiß, dass Berlin zwölf Bezirke hat, kommt mit dieser Blitzschätzung sogar fast auf den exakten Wert!)
Nun gehört beim Über-den-Daumen-Peilen immer ein wenig Glück dazu, damit sich Schätzfehler, etwa bei der Gesamteinwohnerzahl und bei der Zahl der Bezirke, nicht kumulieren, sondern ausgleichen. Der zentrale Punkt ist aber, dass man ohne rechte Ahnung und ohne Zugang zu genauen Zahlen mit ein wenig Nachdenken oft zu einem zuverlässigen Wert gelangt.
Diese Fähigkeit ist nicht nur im Alltagsleben nützlich, sondern auch in der Wissenschaft – und genau das macht die so trivial erscheinende Ausgangsfrage faszinierend. Was Sie vielleicht als Über-den-Daumen-Peilen oder Überschlagen bezeichnen würden, ist in der Physik als »Fermi-Problem« bekannt. Es ist nach dem Atomphysiker Enrico Fermi benannt, der für sein Interesse an solchen Fragestellungen berühmt war. Er liebte es, Rätsel à la »Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago?« zu stellen oder zu lösen.
Bei einem der ersten Atombombentests 1945 in der Wüste Neumexikos überschlug Fermi die Kraft der Bombe, indem er einige Papierschnipsel fallen ließ, während sich die Detonationswelle ausbreitete. Die Schnipsel wurden etwa 2,5 Meter weit abgetrieben, woraus Fermi auf eine Sprengkraft von 10 Megatonnen schloss. Damit unterschätzte Fermi die tatsächliche Kraft der Bombe zwar, die bei 18 Megatonnen TNT lag, war aber anhand der simplen Schätzung dem realen Wert sehr nahegekommen. Genau das macht Daumenschätzungen so wertvoll.
Wenn man eine ungefähre Lösung überschlägt, bevor man sich an die komplizierte, exakte Berechnung einer Größe macht, reduziert man das Risiko, etwa durch einen Komma- oder Rechenfehler, zu einem deutlich falschen Ergebnis zu gelangen. Auch bei Problemstellungen, die immens hohe Zahlen involvieren und bei denen echte Daten praktisch nicht verfügbar sind, liefern Schätzungen oft sinnvolle Richtwerte. Sie sind zum Beispiel Basis der Drake-Gleichung, die von dem Astrophysiker Frank Drake 1961 auf einer Konferenz in Green Bank vorgestellt wurde. Sie dient zur Abschätzung der Anzahl intelligenter Zivilisationen in unserer Galaxie. Die Tatsache, dass wir diesen Zivilisationen bis heute nicht begegnet sind, wird als Fermi-Paradoxon bezeichnet – das oft mit der ein wenig nihilistischen Begründung aufgelöst wird, dass sie innerhalb der kosmischen Skala zeitlich zu weit von uns entfernt liegen, das heißt bereits ausgestorben sind.
Außerhalb des akademischen Bereichs können Schätzmethoden sehr nützlich sein, um ohne großen Rechercheaufwand Denkfehler in der Politik aufzuspüren. In ihrem Buch Guesstimation stellen die Autoren Lawrence Weinstein und John Adam zum Beispiel eine Methode vor, um zu überschlagen, wie viel Ackerland nötig wäre, um alle Autos dieser Welt mit Biokraftstoff aus Mais anstatt mit Benzin anzutreiben. Ihr Ergebnis zeigt auf den ersten Blick, dass ein solches Vorhaben utopisch ist. Viele Unternehmensberatungen und Geldanlagefirmen stellen heute in Bewerbungsgesprächen Schätzfragen wie: »Wie groß ist der chinesische Markt für Toilettenpapier?«, um die Fähigkeit des Bewerbers zu überprüfen, eigenständige Gedankengänge zu entwickeln. Die Lösung der scheinbar sinnlos erscheinenden Ausgangsfrage kann also eine gute Methode sein, sich eine in vielen Bereichen nützliche Problemlösungsstrategie anzueignen.
Warum sind große Raubtiere so selten?
Biologie, Oxford
Diese trügerisch einfache Frage führt mitten in das höchst komplexe, von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägte Beziehungsgeflecht aller lebenden Organismen auf diesem Planeten hinein. Raubtiere wie Löwen, Tiger und Eisbären sind deshalb so groß, weil sie viel Kraft aufwenden müssen, um ihre teilweise selbst recht großen Beutetiere zu erlegen
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