Haltlos
du diejenige bist, die den Ort und die Zeit bestimmt.“ Tessa hatte immer noch nicht verstanden, wie er das meinte. Natürlich war sie es, die gerade träumte und somit durch ihr zu Bett gehen bestimmte, dass sie einschlafen und eventuell auch etwas träumen würde. Aber die Träume, in denen er vorkam, hatten etwas Reales, Greifbares. Etwas was ihr immer noch nach dem aufwachen unter die Haut ging. Es handelte sich eben nicht um bloße Wunschträume, in denen das Unterbewusstsein seine geheimen Wünsche zu Tage befördert. Sie hatte schon seit ihrem ersten Traum so viele Fragen an ihn. Doch schon allein, wenn sie ihn ansah, vergaß sie alles um sich herum. Es erregte sie jedes Mal seinen animalisch, reflexartigen Bewegungen mit ihren Blicken zu folgen. Seiner tiefen, einfühlsamen Stimme zu lauschen. Schlicht und einfach die Nähe seines Körpers zu spüren. Er lehnte an diesem Baum und … Tessa musste sich zusammen reißen, wandte den Blick von ihm ab und brachte jeden letzten Funken von Selbstdisziplin auf, um ihn eine der wichtigsten Fragen zu stellen, „Woher weißt Du …“, „Woher ich weiß, wie dein Vater dich immer genannt hat? Wie Josh dich heute noch immer nennt. Engelchen, was du vergisst ist, es ist dein Traum. Streng dich doch mal ein bisschen an. Vielleicht bist du mir schon weiter auf die Spur gekommen als du denkst.“ In Tessa entflammte ein Zorn, den sie so noch nicht gespürt hatte, aber sie wollte sich nie wieder von Männern rumschubsen und für blöd erklären lassen, auch wenn ihr Gegenüber ein äußerst attraktives Exemplar Mann war. Deshalb antwortete sie ein wenig schärfer als beabsichtigt, „Lass doch endlich deine Spielchen. Egal welche Frage ich dir stelle, du antwortest nie wirklich darauf. Du lamentierst dich immer um die Antwort herum. Also, sag mir jetzt sofort wer du bist!“ Tessa, die sich mittlerer Weile von der Schaukel erhoben hatte, ging, um ihren Worten mehr Ausdruck zu verleihen, mit jedem Wort einen Schritt auf ihn zu. Die große Anziehungskraft, die er auf sie ausübte tat ihr Übriges dazu und so blieb sie ihn fixierend nur wenige Zentimeter vor ihm stehen. „Es liegt daran, dass Du die falschen Fragen stellst. Ich könnte dir etwas antworten wie ich bin jeder und niemand, ich bin gut und ich bin böse. Es kommt stets auf den Betrachtungswinkel an, aber helfen würde dir keine dieser Antworten“, spöttelte er. „WER BIST DU?“ „Die Frage ist nicht wer, sondern was ich bin! Menschen wie du geben mir viele Namen. Das Interessante ist, dass bisher niemand in der Lage war, mich zu sich zu rufen.“ „Na klar, ich bin es natürlich, die dich ruft. Verzeih mir, aber wie soll das denn bitte möglich sein, wenn ich nicht mal ansatzweise eine Ahnung habe, nach wem ich rufen sollte. Ich meine deine Beschreibung passt ja schließlich auf jeden x-beliebigen Typen. Und solltest du es vergessen haben, DEINEN NAMEN weiß ich bis heute auch immer noch nicht.“ „Mein Name ist Cillian, obwohl du mich bisher auch ohne ihn zu kennen immer gefunden hast. Aber ich denke, in Anbetracht der Lage komme ich dir ein wenig entgegen.“ Während er sprach umrundete er Tessa, die nun ihrerseits mit dem Rücken am Baum stand. Er schob sich so dicht vor sie, das gerade noch ein Blatt Papier zwischen die beiden gepasst hätte. In Tessa verstärkte sich ihre Unruhe durch sein Manöver umso mehr. Körperlich zog sie dieser unglaublich gut aussehende Fremde magnetisch an. Aber irgendetwas stimmte definitiv nicht mit ihm. Seine nächsten Worte trafen sie mit voller Wucht der Erkenntnis, dass er genau zu wissen schien, wie es in ihr aussah. Jedes Wort, das er sprach war die reine, unverblümte Wahrheit. Er beugte sich zu ihr herunter, was ihren Puls zum rasen brachte. Er hielt mit seinem Mund inne, kurz bevor er ihr Ohr streifte. Tessas Körper zitterte vor Verlangen, sie konnte sich aber nicht aus ihrer Lage befreien, unfähig sich zu bewegen. „Ja, Engelchen, die Wahrheit ist, dass ich nur zu dir gelangen kann, wenn du mich rufst. Dafür brauchst du keinen Namen. Deine Seele ruft nach mir, dein Körper sehnt sich mit jeder Faser nach mir, nach meiner Nähe. Du brauchst etwas, was nur ich dir geben kann. Aber zuerst“, er hielt kurz inne, „wach jetzt auf. Engelchen, wach auf, JETZT!“
9.
Tessas Atmen ging tief und schwer, ihr Puls raste immer noch. Sie richtete sich kerzengerade in ihrem Bett auf und brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass sie sich immer noch im Kloster
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