Haltlos
Frau Abendrot. Ich hätte es selbst nicht besser formulieren können.“
Frau Schwarz schüttelte resigniert den Kopf und fuhr fort: „Sie haben nur noch drei Wochen bis zu den Klausuren und ich kann Ihnen jetzt schon verraten, dass im ersten Teil mit Sicherheit ein paar simple Definitionen abgefragt werden. Dafür müssen Sie noch nicht einmal schlau sein, sondern einfach nur fleißig.“
So langweilig Victoria die Vorlesungen auch fand, sie musste sich trotzdem wenigstens ab und zu konzentrieren und vor allem mitschreiben. Ansonsten hatte sie in Informatik keine Chance, eine gute Klausur zu schreiben. Also riss sie sich zusammen und notierte, was an der Tafel stand.
Sie bemerkte, dass Frau Schwarz bei einigen Themen darüber nachdachte, sie in die Klausur aufzunehmen.
„Das ist ja praktisch…“ , dachte Victoria grinsend und machte sich gleich einen Vermerk in ihren Unterlagen. „Wenn das bei den anderen Profs in den nächsten Wochen genauso läuft, kenne ich die Klausur schon, bevor sie überhaupt ausgeteilt wird… krass!“
Victoria seufzte. Die Uni war wirklich nicht mehr das, was sie mal war.
Vor der Geometrieübung traf sie ihre Freunde wieder. Das war der perfekte Zeitpunkt, um Lennard ins Spiel zu bringen. Sie setzte sich neben Falk und fragte: „Sag mal Falk, kannst du für das Handballspiel in zwei Wochen noch eine Karte mehr für mich besorgen?“
Falk machte einen auf wichtig. „Das wird schwierig…“ Dann sah er sie neugierig an. „Wozu brauchst du denn eine zweite Karte? Hast du einen neuen Freund?“
Victoria lachte. „Nein. Neu ist der nicht und mein Freund … hmmm, ich würde eher sagen, dass es ein Bekannter ist. Ich habe ihn selbst noch nie gesehen.“
Jetzt guckten auch Kerstin und Sabine zu ihr und Kerstin murmelte: „Hey Vici, mach’s nichts so spannend!“
Victoria kicherte. „Ach, ich habe euch doch bestimmt schon mal davon erzählt, dass meine Eltern in meiner Jungend häufig Austauschschüler aufgenommen haben, oder?“
Die Mädchen nickten, also fuhr sie fort: „Unsere erste Schülerin war Sofia Langlo. Ihr kleiner Bruder Lennard hat ungefähr unser Alter und studiert in Oslo Mathe und Informatik. Er kommt für ein paar Wochen nach Deutschland rüber, weil er überlegt, sein Studium hier zu beenden. Sofia hat mich gebeten, ihn ein wenig unter meine Fittiche zu nehmen, da er hier niemanden kennt.“
Felix machte ein mitleidiges Gesicht. „Na, dann wünsche ich dir viel Spaß beim Babysitten.“
„Hoffentlich ist das nicht so ’ne Flasche wie der letzte Typ aus Spanien“, brummte Falk missmutig.
Sabine nickte zustimmend. „Ja, da erwartete man einen feurigen, gut gebauten, dunkelhaarigen Südländer und was kommt dann hier an? Eine Schlaftablette, die aussieht, als hätte sie bei «Supersize me» die Hauptrolle gespielt.“ Sie schüttelte noch einmal den Kopf und fuhr fort: „Ich bin wirklich tolerant – das wisst ihr, Leute – und offen für neue Menschen, aber dieser Herman ging echt gar nicht! Der war soo phlegmatisch.“
„Vielleicht ist dieser Lennard ja ganz nett“, mischte sich Kerstin ein.
Victoria nickte. „Sofia ist echt cool. Da kann ihr Bruder gar keine Flasche sein. Und wenn doch… na, er kommt am Wochenende hier an und ich bringe ihn am Montag gleich zur Vorlesung mit. Wenn ihr ihn blöd findet, dann nehme ich J mit zum Handball, O.K.?“
Die Mädels nickten und Felix und Falk sahen einander unschlüssig an.
„Oder ist es für dich zu schwierig, eine zweite Karte zu besorgen?“, fragte Victoria Falk herausfordernd.
Damit hatte sie seinen Stolz gepackt. „Ach, das schaffe ich schon – auch wenn es nicht ganz einfach wird.“ Nun machte Falk wieder ein wichtiges Gesicht.
Victoria konnte in seinen Gedanken sehen, dass er ziemlich unter Strom stand. Die nahenden Klausuren saßen ihm im Nacken und gerade in Geometrie war er alles andere als sicher, dass seine üblichen Methoden funktionieren würden. „Ein wenig Bestätigung kann dem Armen wohl nicht schaden“ , dachte Victoria. Sie strahlte Falk dankbar an und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Danke Falk, du bist der Beste!“
Genau in diesem Moment betrat der Professor den Übungsraum und Victoria schlug eine Welle der Eifersucht entgegen. Schwarze Augen durchbohrten sie förmlich.
Sie schloss erschrocken die Augen. „Mist, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht!“ Dann blickte sie Jaromir offen an und zeigte ihm, was passiert war, damit er keine falschen Schlüsse
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