Halva, meine Sueße
verraten können.«
»Welche Idee?«, fragte sie verwundert.
»Du hast doch gesagt, statt Bilder aus dem Iran anzusehen,
hast du eine bessere Idee?«
»Ach so. Ich hatte gehofft, dass du mir auf deinem Saxofon
etwas vorspielst.«
Kai grinste stolz. »Aber gerne! Das nächste Mal, okay?
Ich habe nicht damit gerechnet, dass mein Vater auftaucht.
Wenn ich wiederkomme, fragt er mir bestimmt ein Loch in
den Bauch«, sagte er und verdrehte die Augen. »Also, los.«
Kai parkte seinen Wagen vor Halvas Haustür und öffnete
ihr die Beifahrertür. Sie sah an der Fassade des Wohnhauses
hoch. Die Fenster ihrer Wohnung waren dunkel und
still. Im Erdgeschoss brannte zwar Licht, doch die Vorhänge
waren vorgezogen worden. Sicher trank ihre Familie gerade
Tee. Und wartete auf sie. War sie zu lange fort gewesen?
Verrückt! Früher hätte sie nie einen Gedanken daran verschwendet. Doch seit den zehn Blechen Halva war alles anders
geworden.
»Alles klar?«, fragte Kai sie leise, als ob er ihre Bedenken
spürte.
Sie nickte, obwohl ihr mulmig zumute war. Was, wenn
sie fragten, wo sie gewesen war? Sollte sie lügen oder den
Ärger riskieren? Wer wusste, ob sie Kai dann wiedersehen
durfte? Niemand, niemand auf der ganzen Welt konnte ihr
das verbieten!
Da fragte Kai auch schon: »Wann sehen wir uns das nächste
Mal? Ich halte es nicht aus, wenn ich nicht weiß, wann
ich dich wiedersehe.«
Der Ernst in seinem Blick erschreckte sie beinahe. Wo
konnten solche starken Gefühle so schnell in ihnen beiden
herkommen?
»Ich mache morgen die Frühschicht im Café …«, sagte sie.
»Dann komme ich vorbei. Versprochen.« Kai strahlte nun
wieder. »Und vorher reserviere ich schon mal einen Tisch im
Drexl.
Iranisches Frühstück für mich!«
»Augsburger für mich«, entgegnete sie.
Er sah ebenfalls zu den Fenstern ihrer Wohnung und
küsste ihre Fingerspitzen. »Morgen will ich vor allen Dingen
deine Halva probieren. Ich hoffe, sie sagt mir dann auch das
Richtige. Nicht so wie letzte Woche.«
»Dafür sorge ich. Ich mische nur Schönheit und Freude
hinein.«
»Nein. Du musst Liebe hineintun. Nichts anderes.« Kais
Augen blitzten auf diese unwiderstehliche Art. Halva fühlte
plötzlich einen Kloß in ihrem Hals.
»Gute Nacht, Kai«, sagte sie mit belegter Stimme. Sie wollte nicht, dass er ging. Konnte der Nachmittag nicht ewig
dauern?
Er hielt ihre Hand noch eine Weile, bis er um den Wagen
herumgehen musste, um einzusteigen.
Kai fuhr an, hupte einmal und fädelte sich schließlich vorsichtig
in den Verkehr ein. Halva schaute den Rücklichtern
des Mercedes nach. Irgendwie sah man seinem Fahrstil an,
dass er nicht gerne fuhr. Sie dachte kurz daran, wie er seine
Mutter verloren hatte, und ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Wie konnte man ein solches Trauma je überwinden?
Dann sperrte sie die Haustür auf. Bevor sie über die
Schwelle trat, blickte sie noch einmal hoch zu ihrem Fenster.
Täuschte sie sich oder war da gerade jemand hinter dem
Vorhang weggetreten? Sie schluckte und ging hinein.
»Wo warst du?«
Halva zuckte zusammen. Ihr war es gelungen, an der
geschlossenen Wohnzimmertür vorbeizuschleichen. Drinnen
lief der Fernseher, und niemand hörte, wie die Tür ins
Schloss fiel. Nun lag sie auf ihrem Bett und versuchte einmal
mehr, sich auf »Sturmhöhen« zu konzentrieren, doch ihre
Gedanken wanderten immer wieder zu Kai. Jetzt trank er
wohl mit seinem Vater vor einem Kaminfeuer Tee. Dachte
er so an sie, wie sie an ihn?
Ihre Tür war nur angelehnt gewesen, doch sie hatte ihren
Bruder weder die Treppe hochkommen noch ihr Zimmer betreten
hören.
»Hm?«
»Ich habe gefragt, wo du warst!«
Sie runzelte die Stirn. Was war denn das für ein Ton, den
Mudi da anschlug? Sie musste sich verhört haben! Halva
setzte sich auf, um sich ihm gegenüber nicht so unterlegen zu fühlen. Mudi stand in der Zimmermitte, die Arme vor der
Brust verschränkt.
Halva blickte ihm fest in die Augen. »Was? Ich war spazieren.
«
»Allein?«
Sie schüttelte den Kopf und nahm das Buch wieder auf,
um weiterzulesen. Dann sah sie noch einmal hoch und sagte
patzig: »Das geht dich nichts an.«
Ihrer Ansicht nach hatte das Gespräch schon viel zu lange
gedauert. Dass Mudi sich in der Rolle des eifersüchtigen großen
Bruders nicht lächerlich vorkam!
»Das geht mich schon etwas an, wenn meine Schwester
sich im Dunkeln herumtreibt«, fuhr Mudi sie an. »Also antworte!
Oder hast du einfach Hannah getroffen?«
Halva legte das Buch weg und sprang auf.
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