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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Kotzen!«
    Raya wurde aschfahl, und ihr Ton klang nun eher flehend,
als sie antwortete: »Oh, Halva, wenn du wüsstest … « Sie
versuchte, Halva zu umarmen, aber die stieß sie zurück.
    »Fass mich nicht an. Was bedeute ich dir schon? Du hast
mir dein wahres Gesicht gezeigt. Ihr alle habt mir euer wahres
Gesicht gezeigt.« Sie spürte Tränen aufsteigen und zwang
sie zurück. »War denn alles nur Lüge? All die Jahre lang?«
    »Aber nein. Wir haben doch immer zusammengehalten,
durch all die Schwierigkeiten hindurch … « Nun weinte Raya
ebenfalls. »Versteh uns doch. Versteh bitte deinen Vater …«
    »Wie kann ich das verstehen? Was gibt es denn da überhaupt
zu verstehen? Das alles ist einfach unglaublich! Dass
ihr auf diesen Unsinn überhaupt eingeht!« Halva griff die
beiden offenen Briefe und zerknüllte sie zu zwei blauen Bällen.
»Da. Das mache ich mit Bijan und seiner Forderung. Das
mache ich mit dem Versprechen, das ihr ihm gegeben habt.
Es liegt doch alles so lange zurück. Was will Bijan schon
tun, wenn du seine Briefe ignorierst? Wir werden ihn nie
wiedersehen.«
    Raya wischte sich die Augen, während Mudi die Briefe
wieder aufhob und glatt strich. Wie der kleine Schreiberling,
der er ist, dachte Halva verächtlich, als Baba den Kopf schüttelte.
»Das ist keine Lösung. Ich habe mein Wort gegeben.
Meine Ehre hängt davon ab, dass ich es halte. Bijan hat mir
das Leben gerettet. Er hat uns allen das Leben gerettet. Ich
muss mein Wort halten …«
    Halva presste sich die Hände auf die Ohren. »Ich-kann-es-nicht-mehr-hören! Bla! Bla! Bla! Ist dir denn dein Wort
wichtiger als mein Leben? Da kann ich mir ja gleich die
Pulsadern aufschneiden!«, rief sie.
    »Halva! Wie sprichst du mit mir?«, schrie ihr Vater plötzlich
und Halva zuckte zusammen. In all den Jahren hatte er
nie so seine Stimme gegen sie erhoben. Wie furchterregend
er aussehen konnte! Doch gleichzeitig sah sie auch die Trauer
in seinem Blick. »Bring keine Schande über uns«, sagte er
scharf, als er sich wieder etwas beruhigt hatte.
    Verzweiflung überkam Halva. Half ihr denn hier niemand?
Sah denn keiner, was hier vor sich ging?
    »Schande? Ich dachte, du von allen hier würdest das verstehen.
Du hast doch sicher damals in deiner Zelle auch an
Selbstmord gedacht, oder? Schien das nicht besser, als deinen
Peinigern wieder in die Hände zu fallen?«
    »Halva!«, sagte Mudi warnend, aber sie ignorierte ihn.
    Baba war aschfahl geworden. Niemand in der Familie hatte
je offen über seine Tage im Gefängnis gesprochen und über
das, was man mit ihm gemacht hatte.
    »Nein, Halva. Ich habe nie an Selbstmord gedacht«, stieß
er schließlich hervor. »Selbst in meiner dunkelsten Stunde
nicht.«
    »Woran denn dann? Du lügst.«
    Raya sog scharf die Luft ein, während Baba mit Mühe
antwortete: »Ich habe an euch gedacht. An den Frühling am
Kaspischen Meer und an den Schnee auf den Gipfeln der
Elburs-Berge draußen vor der Stadt. Ich habe nie daran gedacht,
euch alleinzulassen und meine Pflicht als Vater und
Ehemann nicht zu tun. Ohne Bijan wäre das nicht mehr
möglich gewesen. Wie sollte ich ihm da seine Bedingung
abschlagen? Er war mein Retter, mein Freund.«
    »Schöner Freund, der einem Mann in der Not solche Bedingungen
stellt!«
    Baba schwieg. Halva musterte ihn herausfordernd. Sie
spürte kein Mitleid mit ihm und erschrak selber darüber.
Etwas in ihr starb hier und jetzt – und offenbar auch in
ihrem Vater. Was von Baba oder dem Cyrus Mansouri, den
sie ihr Leben lang zu kennen geglaubt hatte, übrig blieb, war
nicht mehr ihr liebevoller Vater.
    Trauer überwältigte Halva. Sie war froh zu sitzen. Es
schnürte ihr die Kehle zu, während ihr Herz von einem
Schlag zum anderen stolperte.
    Sie erinnerte sich an die Freitagmorgende im Iran – der
Freitag war der muslimische Sonntag –, wenn Baba nicht
zur Arbeit in die Kaserne musste. Sie alle hatten dann länger
im Bett gelegen, Musik gehört und Bücher gelesen, ehe
Mudi und sie sich gekabbelt hatten, wer sich bei Baba an den
Bauch kuscheln durfte. Das war die weichste und wärmste
Stelle im ganzen Haus.
    Vorbei. Vergangen. Vergessen.
    Halvas Herz verhärtete sich. Es gab kein Gestern mehr,
sondern nur noch das Heute und das Morgen. In der hinteren
Hosentasche ihrer Jeans vibrierte ihr Handy. Das musste
Kai sein, doch sie wagte nicht, das Telefon jetzt herauszuziehen.
Kai, ihr Heute und ihr Morgen. Der Gedanke ließ ihr
das Herz rasen und es schmerzte.
    »Wir können nicht erlauben, dass

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