Halva, meine Sueße
Kai drehte Halva zu sich und hob ihren
Kopf, sodass sie ihm in die Augen sah. »Weshalb bist du
melancholisch?«
Was für eine dumme Frage!, schalt er sich sofort selbst.
Ihr Vater wollte sie in eine Ehe zwingen, sie hatte mit ihrer
Familie so gut wie gebrochen, und sie konnte den Mann, den
sie liebte, nur einmal die Woche sehen – und das auch nur
im Beisein eines Anstandswauwaus namens Miryam. Halvas
Augen füllten sich mit Tränen.
»Hey, hey, hey«, sagte Kai und umarmte sie fest. Halva
begann zu schluchzen.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»In einer Woche ist Weihnachten«, schniefte Halva.
»Und?«
»Dann sehen wir uns so lange nicht. Du bist dann beim
Skifahren, meine ich …«
»Hm. Das wird eine lange Woche«, gab er zu, ehe er sie
wieder festhielt. Er spürte ihren leichten Atem, ihre Wärme.
Sie sollte nicht weinen. Nie, wenn er es verhindern konnte.
Schließlich wischte sich Halva die Augen. »Wenn ich mich nicht beeile, dann haben wir keine Zeit zum Frühstücken
mehr.«
Sie drehte sich um und hackte weiter Veilchen. Kai knabberte
derweil sanft an ihrem Ohrläppchen.
»Nicht. Das kitzelt«, sagte Halva.
»Das soll es ja auch.«
»Und was heißt hier
Hm?
Freust du dich aufs Skifahren
mit Selina? Ja oder nein?«
Kai seufzte. Ging diese Diskussion wieder los? »Ich freue
mich aufs Skifahren. Ja. Aber ob Selina nun dabei ist oder
nicht, ist mir eigentlich egal.«
Halva ließ das Messer sinken und schloss die Augen. Dann
sagte sie: »Mama ist gestern mit Mudi nach München gefahren,
um ihm einen Skianzug zu kaufen. Am liebsten wäre sie
wohl zu Bogner gegangen, aber das war Mudi dann doch zu
peinlich. Wir sind zwar als Kinder in den Elburs-Bergen Ski
gefahren, aber das hat er wohl alles verlernt.«
»Yep. Er hat sich zu einem Anfänger-Skikurs angemeldet.«
»Ab auf den Idiotenhügel«, kicherte Halva, ehe sie wieder
ernst wurde. »Trotzdem. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass
du eine Woche mit Selina verbringst.«
Kai verdrehte die Augen. »Ach, komm schon! Das ist doch
ideal, um Mudi zu täuschen. Ich bin sicher, er wird Selina
und mich nicht aus den Augen lassen.«
»Und wie musst du dich Selina gegenüber verhalten,
damit Mudi getäuscht wird?«
»Ganz normal, Halva. Was ist denn bloß mit dir los?
Traust du mir denn nicht?«
Sie legte das Messer beiseite und wandte sich ihm wieder
zu. Einen Moment lang verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen. »Ich habe solche Angst«, flüsterte sie dann. »Angst,
dich zu verlieren.«
»Halva«, sagte Kai nur leise. Ihre Lippen verschmolzen
und mit diesem Kuss versuchte er ihr alles zu geben, was sie
eben noch gesucht hatte. Eine Antwort auf alle noch ungestellten
Fragen.
Dann sagte er eindringlich. »Es hat sich nichts geändert,
Halva. Ich verstehe, dass du Angst hast. Aber wir haben doch
gesagt, dass wir erst mal mitspielen. Ich fahre gerne Ski, aber
glaub mir, vor dieser Woche ohne dich, ohne unseren Montag,
graut es mir fast.«
»Halt dich von ihr fern, okay?«, flüsterte sie, als Kai sie
wieder an sich zog. »Ich könnte das nicht ertragen …«
Kai legte ihr sanft seinen Zeigefinger auf die Lippen. »Versprochen
«, flüsterte er. Aber er dachte: Ich habe auch Angst.
Verdammte sogar.
Halva löste sich von ihm, denn Schauer liefen über ihren
ganzen Körper, vom Ansatz ihres Nackens bis hin zu ihren
Fersen. Gerade weil zwischen Kai und ihr nicht viel mehr
möglich war als Blicke und hastige Berührungen in Verbindung
mit langen, innigen Gesprächen, setzte sie schon der
Gedanke an ihn in Flammen. Ihre Finger zitterten, und das
gezuckerte Veilchen glitt von der Halva, die sie gerade belegte.
Es zerfiel in violette Krümel.
An diesem Montagmorgen hatte sie Violett gewählt, weil
sie sich nach seelischem Gleichgewicht sehnte. Sie wünschte
sich Ruhe für ihren Geist und einen Anker für ihre Seele.
Alles, was ihr Kraft gab, ihren Entschluss durchzuhalten.
Den Entschluss, ihre Familie bis zum Letzten zu täuschen. Mit ihnen zu brechen, wenn es sein musste und wenn die
Zeit reif war.
»Weshalb belegst du die Halva eigentlich immer?«, fragte
Kai, nachdem er Halva eine Weile schweigend beobachtet
hatte. Er hatte sich in der Zwischenzeit einen grünen Tee
aufgebrüht und nippte an der Tasse. Das heiße Getränk verbrannte
ihm bei dem Gedanken daran, dass er Halva wegen
der Weihnachtsfeiertage und der Skifreizeit für beinahe vierzehn
Tage nicht sehen sollte, mehr als nur die Zunge und den
Rachen. Es ließ sein Herz verschmoren.
Sie
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