Halva, meine Sueße
Gesicht. Worte fand sie keine mehr. Sie merkte, wie Miryam
sie beobachtete, als sie auf die zerschnittene SIM-Karte sah.
Wie sollte sie nun noch zu Kai Kontakt aufnehmen? Sie
konnte ihm nicht einmal erzählen, was passiert war, konnte
ihn nicht einmal warnen …
Ihr Vater schien ihre Gedanken zu lesen. »Kein Internet
mehr für dich. Mudi oder Miryam bringen dich zur Schule
und holen dich auch wieder ab. Die Halva bereitest du ab
jetzt zu Hause zu. Wenn du nicht in der Küche bist, bleibst
du in deinem Zimmer. Ich will dich im Café nicht mehr
sehen. So bleibt das bis zu deinem Abitur – denn auch hier
halte ich mein Wort – und bis zu deinem Abflug in den Iran.«
Halva wollte aufschreien. Sie öffnete den Mund, um etwas
zu sagen, doch ihr Vater sagte nur kalt: »Sei froh, dass ich
dich überhaupt noch deinen Abschluss machen lasse und
dich nicht morgen schon ins Flugzeug setze.«
»Baba, bitte …«, schluchzte Halva.
»Schweig!«, donnerte er. »Ich will von dir heute nichts
mehr hören!« Dann drehte er sich zu Mudi um. »Bist du
fertig? Dann lass uns gehen!«
»Aber wohin denn, Baba?«, fragte Mudi unbehaglich.
»Wir werden diesem Kerl eine Lektion erteilen. So lasse
ich mich nicht behandeln. Unsere Ehre ist mit Füßen getreten
worden.«
»Nein«, keuchte Halva und wollte zu ihm laufen, doch
Raya hielt sie an beiden Armen fest. Um Gottes willen, was
hatten sie vor? Halva wand sich, aber Rayas Griff wurde zu
einer eisernen Umklammerung.
Halva schrie nun: »Was wollt ihr tun? Nein! Kai! Kai!! Bitte tut ihm nichts!« Ihre Stimme brach vor Entsetzen.
Cyrus und Mudi nickten einander nur zu und verließen
den Raum. Einen Augenblick später fiel die Wohnungstür
ins Schloss.
Halva schrie: »Nein! Kai! Kai! Bitte nicht …«
Da sprang Miryam auf, lief zu Halva hinüber und presste
ihr die Hand so fest auf den Mund, dass Halva verzweifelt
die Luft durch die Nase einsog.
Miryam zischte: »Das hast du nun davon. Aber du hast
es ja schon immer besser haben müssen als ich, nicht wahr?
Und daran hat sich nichts geändert. Was war das Erste,
was ich bei meiner Ankunft hier gehört habe? Ich soll im
Café hinter dem Tresen stehen, während du fein dein Abitur
machst. Und jetzt denkst du, du kannst deinen Freund
treffen und mir auch noch meinen wegnehmen, was? Aber
nicht dieses Mal, kleine Nichte. Nicht dieses Mal. Ganz bestimmt
nicht!«
Halva wand sich. Wovon sprach Miryam? Sie versuchte,
etwas zu sagen, doch es war unmöglich.
Als Miryam endlich ihren Griff lockerte, schnappte Halva
nach Luft und sagte dann: »Was? Wovon sprichst du denn?
Ich habe nicht das geringste Interesse an deinem Freund …«
»Natürlich nicht. Dazu bist du ja viel zu
pooldar,
als dass
du einen Bäcker ansehen würdest, oder? Vielleicht hat er
sich ja gerade deshalb in dich verguckt?«, sagte Miryam bitter.
»Männer wollen immer das, was sie nicht haben können.
« In ihren Augen glitzerten Tränen, doch Halva sah auch
weiterhin den Hass in ihrem Blick.
»Was für ein Unsinn! Lukas liebt dich. Nur dich!«
»Ach. Und weshalb haben dann die letzten Geschenke deines
unbekannten Verehrers nach frischem Brot gerochen?!«
Halva schnappte nach Luft. Sie begriff, welchen Fehler sie
gemacht hatte. Miryam, die hier wieder zum Leben erwacht
war. Die Lukas getroffen hatte. Die in der Küche vor ein
paar Stunden vor Entsetzen die Platte hatte fallen lassen.
Ihr Leben war bei Halvas Worten einmal mehr in tausend
Stücke zerbrochen.
»Miryam, nein …«, wiederholte Halva schwach, doch Miryam
schüttelte nur den Kopf. Ihr Urteil war gefallen. Sie
ließ sich nie wieder etwas fortnehmen, begriff Halva. Nicht,
ohne erneut schreckliche Rache zu nehmen.
»Komm, Halva. Ich bringe dich hoch in dein Zimmer«,
sagte Raya. Ihre Stimme klang traurig, aber auch bestimmt.
»Die Männer müssen tun, was sie tun müssen!«
»Nein …«, begann Halva, verstummte jedoch, als sie abermals
in Miryams wutverzerrtes Gesicht sah.
Ihre Tante trat ganz nah an sie heran, fasste sie am Arm
und zischte: »Ich sperre dich ein und halte vor deiner Tür
Wache. Ich brauche keinen Schlaf. In Teheran habe ich in
den vergangenen drei Jahren genug geschlafen.« Und leise
fügte sie noch hinzu: »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich
vor Frauen hüten, Halva.«
Raya öffnete den Mund, aber schloss ihn dann wieder,
ohne etwas zu sagen.
Halva wurde kalt vor Angst, als Miryam sie vor sich her
die Treppe nach oben und in ihr Zimmer stieß. Dann klickte
der Schlüssel im
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