Halva, meine Sueße
Schloss ihrer Tür. Gleichzeitig hörte Halva,
wie unten auf der Straße der Motor von dem altem Mercedes
der Familie mit einem Aufröhren zum Leben erwachte.
Halvas Herzschlag gefror. Was hatten die beiden nun vor?
Sie biss sich auf die Faust und würgte ihr Schluchzen hinunter. Doch sie konnte die Panik nicht bekämpfen. Verzweifelt
hämmerte sie gegen ihre Zimmertür. »Mama! Miryam!
Bitte!« Sie erhielt keine Antwort. Draußen vor der Tür
hielt Miryam grausam und geduldig Wache.
Es war beinahe vier Uhr morgens, als Kai Glas splittern hörte.
Er fuhr in seinem Bett auf. Was war das? Als er nach seinem
iPhone griff, um auf die Uhr zu sehen, öffnete Uli Blessing
auch schon die Zimmertür.
»Hast du das gehört, Kai?«, fragte er angespannt.
Kai nickte und versuchte aufzustehen. Der Kopf drehte
sich ihm. Er hatte bei dem Neujahrsfest zu viel Wein und
Champagner gehabt. Sein Vater wirkte hingegen völlig klar.
Kunststück, dachte Kai. Er war ja schließlich auch gefahren
und hatte dementsprechend fast gar nichts getrunken.
Nun hörten sie draußen auf der Einfahrt Kies knirschen –
und waren da nicht auch Stimmen? Plötzlich klirrte es wieder,
aber diesmal lauter.
»Warte doch erst mal«, sagte ein Mann.
»Warten? Worauf denn? Ich bin stinksauer!«
»Baba, lass uns doch erst mal mit ihnen reden …«
»Ich habe genug geredet. Gib mir den Stein wieder! Und
dass ausgerechnet du erst reden willst! War der Typ nicht
dein Freund und hat dir eiskalt ins Gesicht gelogen?«
Kai verstand nicht, was der andere darauf antwortete,
aber es klirrte zum dritten Mal.
»Die sind an unseren Autos! Komm schnell, lass uns nachsehen!
« Uli packte Kai am Arm, zog ihn aus dem Bett und
zu dem Fenster in seinem Zimmer, von dem aus man auf die
Einfahrt schauen konnte.
Kais Herz schlug hart in seiner Brust. Als Kind hatte er
immer unter sein Bett gesehen, ehe er sich schlafen legte. So
konnte er sicherstellen, dass kein Einbrecher darunter lag.
Selbst heute kam er noch ungern allein in ein dunkles verlassenes
Haus.
Vorsichtig öffnete Kai den Vorhang einen Spaltbreit. Es
war Vollmond und er konnte deutlich die zwei Männer auf
der Einfahrt erkennen. Einer war groß und schlank, der andere,
der gerade mit einem Stein in der Hand zu einem weiteren
Schlag ausholte, war kleiner und gedrungener gebaut.
Kai zog scharf die Luft ein, als ihm klar wurde, wer da
unten stand. »Mudi!«, keuchte er und sein Vater fuhr herum.
»Was sagst du? Das sind die Iraner?«
Kai nickte, erstarrte aber mitten in der Bewegung, als er
sah, wie nun auch Mudi anfing, auf sein Auto einzutreten.
Der Wagen ächzte und begann dann zu blinken und zu heulen.
Mudis Vater fluchte und trat ein paar Schritte rückwärts.
In diesem Moment wurde plötzlich die Einfahrt in
gleißendes Licht getaucht, denn die Bewegungsmelder hatten
die Eindringlinge erfasst. Einen Augenblick hielten sie
erschrocken inne, umkreisten dann aber weiter den Wagen, und es schien, als würden sie mit jedem Tritt, mit jedem
Schlag wütender.
»Nimm das! Und das!«, hörte Kai Mudi schreien, während
er auf den Mercedes eintrat. Es klang, als ob er dazwischen
schluchzte.
Uli schnappte nach Luft. »Was ist denn in die gefahren?
Wir waren doch eben noch bei ihnen eingeladen!«
In diesem Moment nahm Mudi seinem Vater den Stein
ab und schlug die Heckscheibe des Wagens ein, nachdem
die Windschutzscheibe und die seitlichen Fenster schon
in Scherben lagen. »Lügner! Betrüger! Verräter!«, schrie er
dabei.
»Was zum Teufel …«, knurrte Uli Blessing, und ehe Kai
ihn daran hindern konnte, lief er zur Tür hinaus und rannte
im Morgenmantel die Treppen hinunter. »Was haben die auf
meinem Grund und Boden zu suchen?«
»Nein, Papa. Bleib hier!«, rief Kai, aber folgte ihm dann
doch in T-Shirt und Boxershorts nach unten. »Warte!«, rief
er noch einmal.
Doch Uli Blessing hatte schon die Tür geöffnet und stolperte
in seinen Hausschuhen hinaus in die kalte Nacht.
Kai schlüpfte hastig in seine Gummistiefel, die der Tür am
nächsten standen, dann war auch er aus dem Haus.
»Mudi! Was machst du denn da? Bist du wahnsinnig?«,
schrie er.
Mudi drehte sich um und wischte sich übers Gesicht. Seine
Augen waren vom Weinen gerötet. Trotz seiner Fassungslosigkeit
versetzte dieser Anblick Kai einen Stich. Wie hatte
es nur so weit kommen können? Was war bloß geschehen?
»Was ich mache? Schau gut hin, du verdammter Lügner!«
Mudi warf den Stein auf den Boden, lachte leicht hysterisch
und trat mit
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