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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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verdienen. Die riesigen Farmen sind noch immer überdüngt aus den Zeiten, als Hunderttausende Longhornrinder auf dem Weg von Texas in die Schlachthäuser von Chicago hier „geparkt“ wurden. Die Ära der Viehbarone endete in einer eiskalten Winternacht im Jahr 1887. Hunderttausende Tiere weideten zwischen den Big Horn Mountains und dem North-Platte-River, als ein Monsterblizzard das Land mit einer meterhohen Schneeschicht zudeckte. Nach dem Sturm taute ein warmer Wind, den man in Wyoming Chinook nennt, die obere Schicht auf. Dann sank das Thermometer auf minus 36 Grad. Das Resultat war ein Land, das einem Gletscher glich. Alle Tiere kamen um, die Rinder- Barone waren auf einen Schlag erledigt.
    Wyomingleute sind mit dieser Achterbahn des Schicksals vertraut: Auf den Goldrausch folgt die Flaute, auf den Rinderreichtum das Drama, auf den Ölboom der Niedergang, und jetzt war eben Methangas an der Reihe.
    „Für uns heißt es“, sagte Sam, „friss oder stirb.“
    Und das im wörtlichen Sinne. Sein Sohn Ted verließ mit 18 Jahren die Sheridan High School, mit 19 stand er in Bagdad. Er hatte nie zuvor ein anderes Land gesehen, wusste kaum was von der Welt. Die US-Armee setzt auf die Ahnungslosigkeit ihrer Rekruten. Wer nichts weiß, stellt keine Fragen.
    „So ist Amerika“, sagte Sam. „Mein Dad kam nach Vietnam, ich nach Nicaragua.“
    Ich zählte im Kopf zusammen. Mit 19 Jahren zogen die Männer aus Sam's Familie in den Krieg. Im selben Jahr bekamen ihre Frauen das erste Kind.
    „Hat Ted auch schon Nachwuchs?“ fragte ich.
    „Oh ja“, sagte Sam. In seinen Augen glänzte Großvaterstolz. „Heute wird er seinen Sohn das erste Mal sehen.“
    Ich fragte, was aus seinem Vater geworden war. Lange sagte Sam nichts. Dann sagte er: „Kam nicht zurück. Gilt als verschollen.“
    Dann erhob er sich und meinte, natürlich sei ich eingeladen. Ich sah ihm die Sorge um seinen Sohn an. Vielleicht kam dieser körperlich unverwundet aus dem Krieg. Aber seelische Narben bleiben. Bis heute wurden bei über 10000 Heimkehrern PTSD festgestellt, post-traumatic stress disorder . In den Medien machte gerade ein Fall aus Chicago Schlagzeilen. Ein Soldat einer Artillerieeinheit war nach Hause gekommen. Er hatte sich zurückgezogen, seine Wohnung nicht mehr verlassen. Nachts litt er unter Alpträumen. Dabei gehörte er zu den Wenigen, die Hilfe bekamen. Das Veterans Affairs Hospital nahm sich seiner an, bis zum Tag, als er mit dem Schlachtermesser über seine Verlobte und deren Großmutter herfiel. Grund war ein Streit über Busfahrpläne gewesen. Über Busfahrpläne! Die Experten waren sich einig, dass es jeder Anlass hätte sein können. Sie nannten die Heimkehrer mit PTSD-Syndrom menschliche Zeitbomben.
    Vielleicht war auch das der Grund, weshalb ich mir die letzte Frage ersparte. Die nach Jane Fonda, American Traitor Bitch . Irgendwie kannte ich die Antwort. Die Soldaten fühlten sich von allen im Stich gelassen. Belogen von der Regierung, geschmäht von der Bevölkerung, schlug man in die Richtung, wo es am einfachsten schien.
    Gegen Abend machte ich mich auf die Suche nach einer Unterkunft. In Buffalos Hauptstraße war kein Mensch unterwegs. Eine einsame Fahne wehte im Wind. Darauf war das Logo von Pepsi, darunter stand: Welcome back soldiers . Ein Hotel reihte sich ans andere, sie waren halbverfallen. Große Backsteinkästen aus den glorreichen Zeiten der Rinderbarone. Ich kam am Hotel Capitol vorbei, mit Brettern vernagelt, am Hotel Idlewild mit zerbrochener Glasfront. Dahinter rauschte der Fluss Clear Creek durch die Ortschaft. Und dann, oh Wunder: Im Hotel Occidental brannte Licht. Wenn ich Glück habe, dachte ich, gibt's ja doch ein Zimmerchen für mich.
    Ich hatte Glück. Ich bekam nicht nur ein Zimmer, ich bekam das ganze Hotel. Ruth Warren, die Eigentümerin, drückte mir drei Schlüssel in die Hand: Einen für die Haustür, einen für die Bar, und einen fürs Bordell im hinteren Teil des Occidental. Das passiert einem auch nicht alle Tage. Leider hatte das vormals ruhmreichste House of Queens im Wilden Westen längst die Segel gestrichen. Doch Ruth versicherte mir, dass ich alles so vorfinden würde, wie es gewesen war. Wenn ich wollte, fügte sie hinzu, könnte ich mich ins Bett einer der Prärie-Blumen legen.
    Einer der Prärie-Blumen. Das sagte sie wirklich. Der Westen kannte viele Euphemismen für die Damen des horizontalen Gewerbes, denn obwohl man sich amüsieren wollte, blieb man streng puritanisch: Child of

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