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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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Er schrie, warf sich auf den Boden und blieb dort liegen. Neben mir lachten die Leute, doch ich hatte einen dicken Kloß im Hals. Gerne hätte ich mit Bilal über diese Erfahrung gesprochen. Doch ein paar Tage später brachte man ihn mit einem Nervenzusammenbruch in ein Krankenhaus.
    Als James und ich die Desplaines Street erreichten, sah ich solide braune Backsteingebäude links und rechts der Straße, die von Bäumen gesäumt war. Eine frische Brise blies uns um die Nase und lies gar nicht erst den Mief einer Millionenmetropole aufkommen. Chicago trägt den Spitznamen „Windy City“, doch ist das ein Euphemismus. Besonders im Winter kann man sich hier den Allerwertesten abfrieren. Im 19. Jahrhundert brachen für Einwanderer während dieser Jahreszeit besonders harte Monate an.
    „Dabei sprach man zwischen 1880 und 1890 vom Gilded Age , dem Vergoldeten Zeitalter“, sagte Jim. „Chicago war eine einzige große Fabrik, in die ein ständiger Strom von Arbeitern floss.“
    Der Begriff Gilded Age wurde vom Schriftsteller Mark Twain geprägt. Wohlgemerkt, er hatte die Epoche „Vergoldetes Zeitalter“ genannt, nicht Goldenes. Denn die Abermillionen Dollar, die durch den Technologiesprung des ausgehenden 19. Jahrhunderts von einem Heer billiger Arbeiter erwirtschaftet wurden, flossen in nur wenige Taschen. Die Arbeiter blieben arm, und litten unter Ausbeutung und Korruption. 1880 lebten bereits 205000 Einwanderer aus Europa in Chicago und stellten die Hälfte der Arbeiterschaft. Die meisten – fast 165000 Menschen – kamen aus Deutschland. Sie waren nach der fehlgeschlagenen Revolution von 1849 geflohen, häufig mit einem Buch in der Tasche, dass in der Le Roux'schen Hofbuchhandlung zu Mainz erschienen war: Bruno Schmölders „Neuer praktischer Wegweiser für Auswanderer nach Nordamerika.“ Darin fanden sich Tipps und Tricks für die lange und schwierige Reise, sowie Karten von San Fransisco, St. Louis, Iowa und Neu-Helvetien. Sogar ein Porträt von Johann August Sutter, dem Kaiser von Kalifornien, war abgedruckt. Das war kein Zufall, denn Schmölder war einer der Landagenten, die sich für eine deutsche Kolonie in Kalifornien nach Sutters Vorbild stark machten. Die Auswanderer stammten in der Mehrzahl aus dem Süden: Aus Bayern, Hessen, Württemberg und vor allem Baden, dem Zentrum der deutschen Revolution. Insgesamt 80000 Badener verließen ihr Land, rund 5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Einige der Revolutionäre machten politische Karriere, wie Carl Schurz, der es zum Innenminister der USA brachte. Andere landeten in den Fabriken von Chicago. Wo sie zunächst einmal gut angesehen waren: Geschickte Handwerker, die bereit waren, hinzulangen.
    „Es war damals eine Ehre“, erklärte James, „Teutone genannt zu werden.“
    Die Deutschen verhalfen Abraham Lincoln zur Präsidentenwürde, stellten Truppen für seine Armee im Bürgerkrieg, und waren gegen die Sklaverei. Darüber hinaus engagierten sie sich in der Arbeiterbewegung.
    „Unter ihnen befand sich auch ein 17jähriger Bursche aus dem hessischen Landeck“, fuhr James fort. „Sein Name war Augustus Vincent Theodor Spies. Er hatte alles, was man brauchte, um in der Neuen Welt Karriere zu machen: Ehrgeiz. Eine solide handwerkliche Ausbildung als Polsterer. Die Fähigkeit, sich auszudrücken. Außerdem war er sportlich und sah gut aus.“
    Allerdings hatte er auch noch etwas anderes im Gepäck: Den Wunsch und Willen, unabhängig zu sein. Spies schrieb später, „I was never put upon“, was bedeutete, das man ihm kein X für ein U vormachen konnte. Angesichts der brutalen Ausbeutung der Arbeiter durch die Fabrikbesitzer eine gefährliche Einstellung.
    Wir bestiegen die „L“, die Hochbahn von Chicago. James zeigte mir, wo sich die Deutschen angesiedelt hatten.
    „An der North Side“, sagte er, und deutete aus dem Fenster des quietschenden Wackelwaggons, „errichteten sie ihre Stadt. Sie benannten die Straßen nach deutschen Dichtern und Komponisten, in den Kneipen wurde deutsches „Union Beer“ ausgeschenkt. Dann gab es ein deutsches Zentrum im Westen von Chicago, in der Milwaukee Avenue und am Wicker Park. Dort lag auch ein beliebter Versammlungsort, die Thalia Hall. Da traf sich The Turner Society , der Turnverein. Augustus Spies gehörte zu den besten Turnern.“
    In dieser Halle gab man sich nicht nur dem frischfromm- fröhlich-freien Felgaufschwung hin, und der Kontergrätsche nach Turnvater Jahn. Sondern es wurde vor allem heftig

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