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Hamburger, Hollywood & Highways

Titel: Hamburger, Hollywood & Highways Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Oliver Bachmann
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politisiert.
    „Dabei kam es zur Gründung des Lehr- und Wehrvereins“, sagte James. „Eine Organisation bewaffneter Arbeiter, an deren Spitze Augustus Spies stand.“
    Das war nicht genug, um sich zum „Staatsfeind Nr. 1“ zu machen. Doch als Spies auch noch die „Arbeiter-Zeitung“ publizierte und darin Wahlfälschungen ins Licht der Öffentlichkeit brachte und die Korruption der Richter kritisierte, wurde es für ihn gefährlich.
    „Genau diese Korruption“, sagte James, „kostete ihm das Leben.“
    Es kam nie heraus, wer die Bombe zündete. Das hinderte die Gerichtsbarkeit nicht, ein Urteil zu fällen. Da Spies am Vorabend des Attentats in einer Rede vor Tausenden von Zuhörern die unsäglichen Verhältnisse in den Fabriken gerügt hatte – unter anderem sagte er, „man kann nicht ewig wie ein Stück Vieh leben“ – hatte die korrupte Staatsgewalt leichtes Spiel. Sie argumentierte, Spies und seine Unterstützer hätten die Täter erst aufgestachelt. Neben ihm wurden Adolph Fischer, George Engel und Albert Parsons angeklagt, abgeurteilt und gehängt. Die Angehörigen durften den Todeskandidaten keinen letzten Besuch abstatten, und als Lucy, die Ehefrau von Albert Parsons, vor dem Courthouse die Nerven verlor, wurde sie mitsamt ihren Kindern verhaftet, auf einer Polizeistation nackt ausgezogen, und peinlich genau nach „Waffen und Bomben“ untersucht.
    Wenige Minuten vor seinem Tod sagte August Spies: „Die Zeit wird kommen, wo unser Schweigen stärker ist als die Stimmen, die Sie heute erdrosseln.“ Dann öffnete der Henker die Falltür, und Amerikas erster Justizmord war geschehen.
    „Es war, als ob sich das Schicksal gegen die Verurteilten verschworen hätte“, sagte James. „Nicht einmal die Vollstreckung klappte.“
    Statt durch Genickbruch wurden die Opfer erstickt. Es dauerte siebeneinhalb endlose Minuten, bis der letzte der vier Männer tot war. Selbst der abgebrühte Reporter der Chicago Tribune fand kaum Worte für das Geschehen im überfüllten Courthouse .
    „Die Körper der Gehängten zuckten hin und her, während Ärzte vergeblich versuchten, ihren Puls zu fühlen“, war in der Chicago Tribune zu lesen. „Am Ende starben sie keinen sauberen Tod, sondern wurden jämmerlich erdrosselt.“
    Die letzten Worte von August Spies hatten sich erfüllt. Ein wenig deutsche Kultur hatte sich an der North Side gehalten. Wir betraten ein Lokal, welches Oktoberfestbier im Angebot hatte. Ich bestellte zwei Humpen, und es schmeckte nicht anders als auf der Theresienwiese. Nur kam statt Humpdadamusik Chicago Blues aus den Lautsprechern. Damit konnte ich leben.
    „Und wie gings dann weiter?“, fragte ich James.
    „Sechs Jahre später annullierte der Gouverneur von Illinois, John Peter Altgeld, das Skandalurteil“, antwortete er. „Mit zwei Begründungen: Keiner der Angeklagten konnte mit dem Anschlag in Verbindung gebracht werden. Und alle Geschworenen waren parteiisch ausgewählt worden. Die ganze Verhandlung war eine Farce gewesen.“
    „Guantánamo“, dachte ich. „Das passiert, wenn jemand rasch ein paar Schuldige braucht.“
    „Hast du an 9/11 gedacht beim Schreiben?“, fragte ich James.
    „Natürlich“, sagte er. „Aber ich zog keine Vergleiche. Ich wollte, dass die Leser selbst darauf kommen.“
    Das taten sie auch. In der Houston Post war zu lesen: „One cannot read this book without a shock of recognition – Das Buch führt zu einer schockierenden Selbsterkenntnis.“
    Es war eine große Verlockung: Die Gummiente von Chicago aus Richtung Norden zu steuern, durch Milwaukee Richtung Sault Sankt Marie, dort über die Grenze nach Kanada, um dann auf einsamen Straßen durch einen Wald zu fahren, gegen den mein geliebter Black Forest nicht mehr als eine kleine Baumgruppe ist. Dann rüber nach Montreal, runter nach New York, und auf nach Boston. Das kleine Teufelchen „da wolltest du doch immer hin“ schlug mächtig Alarm. Aber es gab ja zwei von dieser Sorte, und auch das andere war nicht auf den Mund gefallen.
    „Hör nicht auf die taube Nuss“, sagte Teufelchen Nummer Zwei. „In Detroit kannst du Rennautos fahren.“
    Das gab den Ausschlag. Detroit, Motorcity, Auburn – das sind die Zentren der amerikanischen Autoindustrie. Und wer wie ich in Stuttgart mit feinstaubgeschwängerter Luft täglich daran erinnert wird, dass im Landeshauptstädle nur zwei am großen Rad drehen, nämlich d’ Daimler un’ d’ Porsche , der möchte auch einmal das amerikanische Pendant dazu

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