Hanan 1 - Brüder der Erde
Indras hat, und das ist besser als der Tod, Kta, um sehr vieles besser als der Tod.«
»Ich hoffe«, sagte Kta, »daß Bel die Dinge auch so sieht. Ich habe Angst vor der Nacht in dieser Stadt. Es hat zu wenig Widerstand gegeben. Sie halten etwas zurück. Und ich habe gehört, daß t'Tefur im Afen sein soll.«
Kurt atmete langsam aus und blickte zum Tor des Afen hinauf.
»Wenn wir Glück haben«, sagte er, »gelingt es Djan, die Waffen unter Verschluß zu halten.«
»Du scheinst fest darauf zu vertrauen, daß sie ihm die Waffen nicht überlassen wird.«
»Nicht freiwillig«, sagte Kurt. »Ich kann mich natürlich irren, aber ich glaube, Djans Charakter und Denkweise gut genug zu kennen. Es müßte schon sehr viel passieren, bevor sie diese Todesmaschinen gegen Nemet einsetzt.«
Kta wandte den Kopf und sah ihn an, die Brauen ärgerlich zusammengezogen. »Sie ist zu allem möglichen fähig, aber das scheinst du vergessen zu haben. Dein Menschsein macht dich blind, mein Freund, und ich fürchte, du hast Mim tiefer begraben als die Erde, die sie zudeckt. Ich verstehe das nicht. Oder vielleicht doch.«
»Du kennst mich eben doch nicht richtig«, sagte Kurt und verspürte plötzlich Kälte.
Er trat wieder ins Haus, schritt an t'Nethim vorbei, ohne ihn zu beachten, und trat in den
rhmei
, dessen Feuer erloschen war. Er kniete sich auf eins der weißen Felle, wie er es an so vielen Abenden getan hatte, und starrte ins Halbdunkel.
Lhe t'Nethim trat mit kaum hörbaren Schritten in den
rhmei
. Es war ein forscher und mutiger Akt für einen orthodoxen Indras. Er verbeugte sich respektvoll vor der toten Feuerschale und kniete sich auf die nackten Steine.
Er wartete, so wie er immer gewartet hatte, seit er bei ihnen war.
»Was willst du von mir?« fragte Kurt ihn nach einer Weile irritiert.
»Ich stehe in deiner Schuld«, sagte Lhe t'Nethim leise, »für deine Gebete für Mims Seele. Ich bin gekommen, weil ich den Herd sehen wollte, den sie verehrt hat. Wenn ich sie gerächt habe, werde ich wieder frei sein.«
Das war verständlich. Kurt konnte sich vorstellen, daß Kta sich genauso für Aimu einsetzen würde.
Sogar für ihn.
Er hatte Kta verletzt, sah er ein. Auch wenn seine harten Worte gerechtfertigt waren, taten sie ihm jetzt leid. Er war froh, als er Ktas Schritte in der Halle horte. Sie waren etwas, das zu Elas gehörte und das Haus aus seiner Totenstarre riß.
Kta trat leise in den
rhmei
und kniete sich neben Kurt auf eins der Felle.
»Ich war ungerecht«, sagte Kurt. »Ich schulde dir eine Erklärung.«
»Nein«, sagte Kta mitfühlend. »Die Worte haben mich nicht getroffen. Du bist manchmal noch immer ein Fremder, und du hast keine
yhia
gefunden, seit du Mim verloren hast. Sie steht für dich noch immer im Mittelpunkt aller Dinge. Ein Mann ohne
yhia
, der einen so großen Verlust erlitten hat, kann sich nicht richtig erinnern, kann nicht richtig denken. Er ist eine Gefahr für seine ganze Umgebung. Ich habe Angst vor dir. Sogar du selbst weißt nicht, was du zu tun fähig bist.«
Er schwieg eine lange Weile. Kurt unterbrach die Stille nicht.
»Wir wollen uns waschen«, sagte Kta schließlich. »Und wenn ich meine Hände von Blut gereinigt habe, werde ich den Herd von Elas wieder anzünden und neues Leben in diese Hallen bringen. Falls du dich scheust, in dein Zimmer zu gehen, benutze das meine.«
»Danke«, sagte Kurt und stand auf. »Ich werde nach oben gehen.«
Das Zimmer, in dem er und Mim gelebt hatten, war fast unverändert. Der blutgetränkte Teppich war verschwunden, aber sonst war alles so wie früher: das Bett, die heilige
phusa
, vor der sie gekniet und gebetet hatte.
Er hatte befürchtet, daß es ihn bedrücken würde, diesen Raum zu betreten, in dem alles an Mim erinnerte, aber nun konnte er sich kaum noch an ihre Stimme erinnern. Das war die erste Erinnerung, die verlorengegangen war. Die dauerhafteste war ihr regloser Körper vor dem lodernden Herdfeuer und vor ihr Nym, der mit erhobenen Armen die Rache der Götter beschwor.
Sein Blick fiel auf den Toilettentisch, auf dem noch immer die Haarnadeln und Kämme lagen, die Mim gebraucht hatte, und als er die Schublade öffnete, sah er ihre Schals und roch den süßen Duft von
aluel
. Zum erstenmal nach langer Zeit erinnerte er sich bei Tageslicht an sie, an ihre sanfte Berührung, an das Licht in ihren Augen, wenn sie lachte, hörte ihre Stimme, wenn sie ihm einen guten Morgen wünschte.
Er ließ einen Schal durch seine schwielige Hand
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