Hanan 1 - Brüder der Erde
Mutter Ptas, hatte ihre Räume hinter der Basiswand des
rhmei
. Sie war die Hüterin religiöser Angelegenheiten des Hauses. Sie bewachte das heilige Feuer der
phusmeba
, leitete den Haushalt und stand nach dem Patriarchen auf der zweiten Stelle der Rangliste des Haushalts.
Bei den Nemet gab es einen komplexen Kodex von Respekt und Gehorsam, erklärte Kta. So galt es als grober Verstoß, wenn ein erwachsener Sohn vor seine Mutter trat, ohne sich auf den Boden zu knien, aber solange er noch ein Junge war, wurde ihm diese Ehrerbietung erlassen. Umgekehrt war es bei dem Verhältnis zwischen Sohn und Vater: Der Junge kniete vor seinem Vater nieder, bis er erwachsen war, dann trat er ihm als fast Gleichberechtigter mit einer leichten Verbeugung gegenüber. Eine Tochter dagegen wurde im Haus als ein geliebter Gast betrachtet und behandelt, als ein Gast, den das Haus eines Tages an einen Ehemann verlieren würde. Sie trat ihren Eltern mit nur förmlichem Respekt gegenüber und zeigte im Umgang mit ihren Brüdern die gleiche bescheidene Zurückhaltung, die für den Verkehr mit Fremden vorgeschrieben war.
Von Hef und Mim, die Elas dienten, wurde nur formeller Gehorsam verlangt, obwohl sie fast wie gleichberechtigte Familienangehörige behandelt wurden.
»Und was ist mit mir?« fragte Kurt, »was muß ich tun?«
Kta runzelte die Stirn. »Du bist Gast, mein Gast. Also stehst du mit mir auf einer Stufe. Aber...«, setzte er nervös hinzu, »es gehört sich, daß ein Mann gelegentlich mehr Respekt zeigt, als von ihm erwartet wird. Das tut deiner Würde keinen Abbruch, meistens erhöht sich dein Ansehen sogar. Ich gebe dir den Rat, immer höflich zu sein. Zu allen. Bitte... beschäme Elas nicht. Die Leute werden dich genau beobachten und dich für einen Tamurlin in Nemet-Kleidung halten. Du mußt ihnen beweisen, daß dem nicht so ist.«
»Kta«, sagte Kurt, »bin ich für die Nemet ein gleichwertiges Geschöpf?«
Kta preßte die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn, als ob er wünschte, Kurt hätte ihm diese Frage nicht gestellt.
»Also nicht«, schloß Kurt und konnte nicht einmal wütend werden, weil er sah, wie verstört Kta war.
»Das habe ich noch nicht entschieden«, sagte Kta. »Manche von uns... würden es verneinen. Es ist eine religiöse Frage. Aber ich mag dich, Kurt, auch wenn du ein Mensch bist.«
»Du warst sehr gut zu mir.«
Sie schwiegen eine Weile. Das Haus schlief. Es war totenstill. Kta blickte ihn mit einem Ausdruck von Bedauern und Mitleid an, der ihn beunruhigte.
»Du hast Angst vor uns«, sagte Kta.
»Hat Djan dich zu meinem Bewacher ernannt, weil du sie darum gebeten hast, oder vertraut sie dir auf eine besondere Weise?«
Kta hob den Kopf. »Elas ist der Methi treu und ergeben. Aber du bist unser Gast.«
»Gibt es viele Nemet, die die menschlichen Sprachen beherrschen? Du sprichst fließend Hanan, genau wie Mim. Deine... Bereitwilligkeit, einen Menschen in dein Haus aufzunehmen... ist das nicht außergewöhnlich für einen Nemet?«
»Ich habe für die
umani
den Dolmetscher gespielt, als sie nach Nephane kamen. Vorher hatte ich ihre Sprache von Mim gelernt, und Mim mußte sie erlernen, weil sie Gefangene der Tamurlin war. Was für eine Bösartigkeit vermutest du denn hinter der einfachen Tatsache, daß wir beiden deine Sprache sprechen? Worauf beruht eigentlich der Streit zwischen dir und der Methi?«
»Wir stammen von verschiedenen Nationen ab, die seit Jahrtausenden Krieg gegeneinander geführt haben. Misch dich da nicht ein, Kta, jedenfalls nicht um meinetwillen. Falls ich den Frieden dieses Hauses oder seine Sicherheit bedrohen sollte, so sage es mir offen. Dann gehe ich zurück. Ich meine es ernst.«
»Das ist unmöglich«, sagte Kta. »Nein. Elas hat noch nie einem Gast die Tür gewiesen.«
»Elas hat auch noch nie einen Menschen zu Gast gehabt.«
»Das stimmt«, gab Kta zu. »Aber die Ahnen waren verwegene Männer. Das ist der Charakter von Elas. Die Ahnen führen uns durch solche Situationen, und Nephane und die Methi können uns keine großen Überraschungen bereiten.«
Das Leben der Nemet verlief ruhig und friedlich. Kurt ertrug vier Tage in den stillen, matt erleuchteten Räumen, vier Tage voller gedämpfter Stimmen, endloser Verbeugungen, vier Tage der ständigen Wachsamkeit, um keine Gegenstände oder Personen zu berühren, deren Berührung ihm verboten war, bevor er am Ende seiner Nervenkraft angelangt war.
Eines Tages ging er nach oben und schloß sich in sein Zimmer
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