Hanan 1 - Brüder der Erde
ein. Er zog auch die Vorhänge vor das Fenster, damit ihm selbst der Ausblick auf diese fremde Welt erspart blieb. Er weinte sogar ein bißchen vor Verzweiflung und saß stundenlang reglos im dunklen Zimmer, bis es Nacht geworden war. Dann ging er leise hinunter und setzte sich in den leeren
rhmei
, um zu versuchen, seinen Frieden mit diesem Haus zu schließen.
Mim trat herein. Sie blieb bei der Tür stehen und blickte ihn schweigend an. Ihre vor der Brust verschränkten Hände zuckten nervös. Schließlich durchquerte sie den Raum, nahm eins der weißen Schafsfelle und brachte es zu Kurt, der auf dem kalten Boden saß. Sie legte es neben ihn und blickte ihm kurz in die Augen, als sie sich wieder aufrichtete. In ihren Blicken standen Fragen, Besorgnis – sogar nackte Angst.
Er nahm ihr Friedensangebot an und setzte sich auf das weiche Fell.
Sie verneigte sich tief und verließ den Raum. Im Hinausgehen löschte sie nacheinander alle Lichter bis auf das Feuer der
phusmeba
, das niemals verlöschen durfte.
Kta kam kurz darauf herein, aber er vergewisserte sich nur, daß alles in Ordnung war, und ging dann wieder. Aber er ließ die Tür seines Zimmers während der ganzen Nacht offen.
Als Kurt am nächsten Morgen den
rhmei
verließ, blieb er vor der offenen Zimmertür stehen, um sich bei Kta für sein Benehmen zu entschuldigen. Kta war wach, sprang sofort aus dem Bett und blickte Kurt besorgt an. Kurt fand nicht die richtigen Worte, um sein Verhalten zu erklären, also verbeugte er sich nur schweigend und ging in sein Zimmer hinauf, um sich auf die Zeremonie des Frühstücks mit der Familie vorzubereiten.
Der sanftmütige Kta, immer freundlich, selten wütend, war über sechs Fuß groß und stark wie ein Bär, aber Kurt bezweifelte, daß er jemals seine Würde vergessen und gewaltsam gegen jemanden vorgehen könnte. Kurt begriff immer weniger, wie dieser Mann es über sich gebracht hatte, im Angesicht ganz Nephanes über die Schiffsreling zu springen, um einen ertrinkenden Menschen zu retten, und ihm auch noch beigestanden hatte, als er hilflos und von Übelkeit gepackt auf der Pier lag. Es schien nichts zu geben, das Kta für längere Zeit aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Frustration überwand er, indem er sich für einige Zeit zurückzog und über das Problem meditierte, bis er sein
yhia
wiedergefunden hatte, sein seelisches Gleichgewicht, und diese Philosophie erwies sich offensichtlich selbst für den Umgang mit Menschen als adäquat.
Kta beherrschte auch die
aos
, eine kleine Harfe mit Metallsaiten, und sang mit einer weichen, angenehmen Stimme zu ihrer Begleitung, eine Gabe, die besonders Lady Ptas an stillen Abenden zu schätzen wußte. Manchmal sang er schnelle, fröhliche Lieder, die den
rhmei
zum Lachen brachten, manchmal lange, getragene Balladen, die von kleinen Tassen
telise
unterbrochen wurden, damit er seine Stimme ausruhen konnte, klagende und oft atonale Tonfolgen, denen alle Mitglieder des Hauses ergriffen lauschten.
»Was hast du vorhin gesungen?« frage Kurt ihn einmal, als sie in Ktas Zimmer bei einer Tasse Tee saßen. Es war ihnen zur Gewohnheit geworden, vor dem Schlafengehen noch eine Weile beisammenzusitzen, und dies war einer der letzten Abende, die Kurt im Haus Elas verbringen würde. Die zwei Wochen waren fast um, und deshalb wollte er noch möglichst viel über die Nemet erfahren, da er nicht wußte, ob er in Zukunft noch Gelegenheit dazu haben würde.
Sie hatten einen wunderbaren, stillen Abend im
rhmei
verbracht bei den Klängen der
aos
, denen Lady Ptas mit verzücktem Gesicht gelauscht hatte. Er sah das ruhigwürdevolle Gesicht Nyms vor sich, die gesenkten Köpfe von Aimu und Mim, die sich über ihre Handarbeiten beugten, die schwarzgekleidete Gestalt des alten Hef, der etwas abseits saß mit zurückgelegtem Kopf und träumenden Augen. Die Ruhe Elas war heute nacht in seine Seele eingezogen. Bis jetzt hatte er sich gegen sie gewehrt, jetzt hatte er sie akzeptiert und in sich aufgenommen.
»Der Text der Ballade hat keine Bedeutung für dich«, sagte Kta. »Außerdem kann ich ihn nicht in menschliche Worte übersetzen.«
»Versuche es wenigstens.«
Der Nemet hob die Schultern, lächelte ein wenig gequält, nahm die
aos
in die Hände und ließ seine Finger über die Metallsaiten gleiten. Ein paar Sekunden lang schien er zu schwimmen, doch dann erklang dieselbe Melodie, die er im
rhmei
gespielt hatte.
»Es ist unser Ursprung«, sagte Kta leise, ohne Kurt anzublicken, und
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