Hanan 1 - Brüder der Erde
beschweren würde. Einmal wegen der eigenen Schande und weil er damit seine Freunde, besonders Kta, zwingen würde, seine Ehre zu rächen.
Kurt richtete sich stöhnend auf, und t'Senife zog ihm seinen
chan
zurecht, der bei der einseitigen Prügelei verrutscht war. Dann packten sie ihn wieder bei den Armen.
Sie brachten ihn zu einer Seitentür des Afen und führten ihn eine Treppe hinauf, die ihm fremd war. Doch anschließend kamen sie in Kurt bekannte Hallen im Zentrum des Afen.
Ein anderer Mann in der gleichen gestreiften Robe trat auf sie zu. Er war jung und sah gut aus. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Bel, aber aus seinen schmalen Augen glühte Haß. Die anderen Nemet zeigten ihm gegenüber großen Respekt. Sie nannten ihn Shan t'Tefur.
Sie berichteten Shan t'Tefur von Kurts Verlobung und daß sie zu spät gekommen seien.
»Das muß die Methi sofort erfahren«, sagte t'Tefur, und seine Augen blickten zu einer schmalen Tür in der Wand der Halle. »Bringt ihn in das Zimmer, bis ich wieder zurückkomme.«
Sie taten es. Kurt setzte sich auf einen harten Stuhl unter einem schmalen, schießschartenähnlichen Fenster. Er vermied die Blicke der vier Wachen, indem er ihnen den Rücken zuwandte. Er wollte ihnen keinen Vorwand liefern, ihre Mißhandlungen zu wiederholen.
Endlich kam t'Tefur zurück und sagte, daß die Methi ihn jetzt zu sprechen wünschte.
Sie wollte ihn alleine sprechen. t'Tefur protestierte und warf Kurt einen wütenden Blick zu, aber Djan sah ihn so vernichtend an, daß er sich verbeugte und den Raum verließ.
Dann sah die Methi Kurt genauso verärgert an.
»Es war ein schwerer Fehler, den Tempelbezirk zu betreten«, sagte sie. »Wenn Sie in den Tempel selbst eingedrungen wären, hätte ich Sie wahrscheinlich nicht retten können.«
»Das habe ich mir auch gedacht«, sagte er.
»Wer hat Ihnen eigentlich erlaubt, alle möglichen Kontakte in Nephane herzustellen und sich mit diesem Nemet-Mädchen zu verloben?«
»Niemand hat mir gesagt, daß ich es nicht darf. Und auch Elas ist nicht davon unterrichtet worden, sonst hätte man es mir nicht gestattet. Sie sind Ihnen treu ergeben. Obwohl sie nicht gut behandelt werden.«
»Diese Respektlosigkeit für Elas ist nicht das kleinste der Probleme, die Sie mir geschaffen haben.« Sie ging zur gegenüberliegenden Seite des Raums und zog eine Täfelung zurück, hinter der eine eingeglaste Terrasse lag. Es war Nacht geworden. Man konnte von hier aus weit auf die See hinausblicken. Sie stand eine ganze Weile auf der Terrasse und blickte auf den Hafen hinunter. Aber Kurt war sicher, daß sie nachdachte und daß er und Elas der Gegenstand ihres Nachdenkens waren.
Schließlich wandte sie sich wieder um und blickte ihn an. »Es tut mir leid, daß ich Elas Ungelegenheiten bereiten mußte!« sagte sie. »Ich werde ihnen Nachricht schicken, daß Sie in Sicherheit sind. Sie haben noch nicht gegessen, nicht wahr?«
Er verspürte in dieser Situation nicht den geringsten Appetit. Sein Magen war leer und schmerzte, und ihr unerwarteter Stimmungswechsel trug auch nicht dazu bei, seine Furcht einzudämmen. »Sie haben meine Verlobte fast zu Tode geängstigt, mich vor allen Leuten durch die Straßen schleifen zu lassen, und ich erwarte nur...«
»Ich denke«, sagte Djan bestimmt, »daß wir unser Gespräch besser auf einen späteren Zeitpunkt verschieben sollten. Ich jedenfalls werde mein Dinner einnehmen. Falls Sie mir dabei nicht zusehen wollen, wird Shan Sie solange in einen sicheren Raum bringen, wo Sie sich alles in Ruhe überlegen können. Aber Sie werden den Afen erst verlassen –
falls
Sie den Afen überhaupt wieder verlassen sollten –, wenn ich es bestimme und Sie fortschicke.«
Sie rief nach einem Mädchen namens Pai, das ihre Befehle mit einer tiefen Verbeugung entgegennahm.
»Sie«, sagte Djan, als das Mädchen wieder gegangen war, »ist
chan
des Afen. Ich habe sie sozusagen geerbt. Sie ist sehr loyal und sehr verschwiegen, beides große Tugenden. Ihre Familie hat der letzten Methi gedient vor etwa hundert Jahren. Und auch vorher war Pais Familie schon
chan
bei Methis gewesen, bereits vor der Besetzung Nephanes durch die Menschen und auch während der Besetzung. Es gibt nichts in Nephane, das keine Wurzeln hat, außer uns beiden. Also vergessen Sie Ihre Verstimmung, mein Freund. Ich weiß, daß ich heute meine Beherrschung verloren habe. Das kommt selten vor, und es tut mir leid.«
»Dann sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben, und lassen Sie
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