Hanan 1 - Brüder der Erde
nichtmenschliche Gesicht, das er anblickte und in dem er Häßlichkeit entdeckte, wo er kurz vorher noch Schönheit gesehen hatte.
»Ich bin müde«, sagte sie und lehnte sich an ihn. Ihr Haar duftete nach einem Aroma, das in dieser Welt exotisch war, einem Laborprodukt, wie es Djan selbst war, ein Duft, der ihn an zu Hause erinnerte, an tausend weit verstreut liegende Welten, von denen die Nemet nicht einmal träumten. »Kurt, ich arbeite, ich lerne, ich versuche. Ich bin zu Tode erschöpft.«
»Ich würde dir helfen«, sagte er, »wenn du dir helfen lassen willst.«
»Du bist an andere gebunden und schuldest ihnen Loyalität«, sagte sie entschieden. »Ich wünschte, ich hätte dich nie nach Elas geschickt, damit du lernst, Nemet zu werden, zu ihnen zu gehören. Du willst mich für deine Sache benutzen, er für die seine. Ich weiß das, nur gelegentlich versuche ich, es zu vergessen. Eine menschliche Schwäche. Darf ich nicht auch eine haben? Du bist hergekommen, damit ich dir einen Gefallen tue. Ich wußte, daß es so kommen würde, früher oder später.«
»Ich würde dich nie um etwas bitten, was gegen deine Interessen verstößt. Ich stehe in deiner Schuld genau wie in der von Elas.«
Sie stieß ihn von sich. »Und ich hasse dich am meisten, wenn du von deiner Schuld sprichst. Deine Sorge ist rührend, aber ich traue dir nicht.«
»Nephane bringt dich um.«
»Ich passe schon auf mich auf.«
»Wahrscheinlich. Aber ich würde dir trotzdem gerne helfen.«
»Wirklich? Genauso wie Shan mir hilft? Aber dir paßt es nicht, daß er auf der Gegenseite steht, nicht wahr? Verdammt, ich habe dir erlaubt, zu heiraten, und du hast es getan. Du hast deine Wahl getroffen, auch wenn es sehr verlockend war, mit mir...«
Sie sprach den Satz nicht zu Ende, und das irritierte ihn. Djan hatte nicht die Gewohnheit, unüberlegt daraufloszureden.
»Als ich hierher kam«, sagte er, »und wann immer ich jetzt hierher komme, versuche ich, meine Verbindung zu Elas hinter mir zu lassen. Du hast niemals versucht, mich gegen Elas auszuspielen, Djan, und ich habe auch dich niemals benutzt.«
»Deine kleine Mim«, sagte sie. »Wie ist sie? Eine typische Nemet?«
»Nicht typisch.«
»Elas benutzt dich«, sagte Djan, »ob du es merkst oder nicht, es ist nun einmal so. Ich könnte dem einen Riegel vorschieben. Ich könnte dich hier im Afen unterbringen. Einen Haftbefehl kann ich ohne Zustimmung des Upei ausstellen.
Diese
Macht der Methi ist absolut.«
Sie schien diese Möglichkeit wirklich zu erwägen. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken, als er einsah, daß sie es wirklich tun konnte und auch tun würde, und er erkannte plötzlich, daß sie auf diese Weise eine kleinliche Rache an ihm nehmen könnte. Die Unruhe, in die sie ihn jetzt versetzte, war die Revanche für die Schwäche, die sie vor einigen Minuten gezeigt hatte. Stolz war einer ihrer stärksten Charakterzüge.
»Willst du, daß ich dich bitte, es nicht zu tun?« fragte er.
»Nein«, sagte sie. »Wenn ich beschließen sollte, dich einzusperren, so werde ich es auch tun, und wenn nicht, dann werde ich es nicht tun. Um was du mich bittest, hat darauf überhaupt keinen Einfluß. Aber ich möchte dir den guten Rat geben, daß du und Elas Ruhe bewahrt.«
12
Der Nebel hob sich nicht. Er hing auch am nächsten Morgen noch über der Stadt, und das leise Läuten der Schiffsglocken erklang aus dem Hafen. Kurt öffnete die Augen und blickte aus dem Fenster in das Grau hinaus. Dann wandte er den Kopf und sah zum Fußende des Bettes, wo Mim saß und ihr langes, schwarzes Haar kämmte, das ihr bis zu den Hüften fiel, wenn sie es nicht aufsteckte. Sie gab seinen Blick zurück und lächelte.
»Guten Morgen, Lord Kurt.«
»Guten Morgen«, murmelte er.
»Wir haben noch Nebel. Hörst du die Glocken im Hafen?«
»Wie lange kann das dauern?«
»Manchmal mehrere Tage lang, besonders im Frühling, wenn es wärmer wird.« Sie teilte ihr Haar und begann, einen Zopf zu flechten, den sie dann wie eine Krone um ihren Kopf legen und feststecken würde. Es war ein Ritual, das Kurt immer wieder faszinierte.
»Wir sagen«, fuhr Mim fort, »daß der Nebel der Mantel der
imiine
ist, der Himmels-Elfe Nue, die hin und wieder zu uns herabsteigt. Sie sucht ihren Geliebten, den sie vor langer, langer Zeit verloren hat, als noch die Gott-Könige regierten. Er war ein Sterblicher und hat einen dieser Gott-Könige beleidigt, einen Sohn Yrs, der Knyha hieß. Der Arme wurde von Knyha erschlagen
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