Hand von Thrawn 01 - Schatten der Vergangenheit
fast in die Katastrophe geführt hätte. Er war überstürzt nach Cloud City aufgebrochen um Han und Leia zu retten, doch um ein Haar hätte er sie statt dessen alle umgebracht.
Doch seitdem hatte er so viel über die Macht erfahren. Und es war ihm gelungen, weitere Zukunftsvisionen zu haben, ohne gleich etwas Unbesonnenes zu tun. In letzter Zeit waren seine Bemühungen in dieser Richtung jedoch seltsam unergiebig gewesen, doch da er sich noch eine Stunde oder so ohnehin ruhig verhalten sollte, konnte es nicht schaden, einen weiteren Versuch zu unternehmen.
»R2, ich werde eine Weile meditieren«, erklärte er dem Droiden, glitt aus dem Sessel und ließ sich im Lotossitz auf dem Fußboden nieder. »Ich will versuchen, irgendwie eine Richtung zu finden. Sieh zu, daß mich niemand stört, in Ordnung?«
Der Droide summte zustimmend. Luke atmete tief durch, schloß die Augen und griff in die Macht hinaus. Seine Gedanken – seine Gefühle, sein ganzes Sein – nahmen wie von selbst die angemessene Form an…
… und im nächsten Moment explodierte das gesamte Universum vor ihm und verwandelte sich in ein Kaleidoskop aus Farben und Bewegung.
Er keuchte. Das überwältigende Bild flimmerte einen Augenblick wie die Hitze über einer Wüste, als er beinahe die Kontrolle verlor. Diese Vision war wie keine zuvor. Hundert verschiedene Szenen, tausend unterschiedliche Möglichkeiten – leuchtende Farben, exakt begrenzte Klänge, Freude und Zufriedenheit und Angst und Tod. Alles wirbelte mit der Wucht und der Zufälligkeit eines Sandsturms auf Tatooine zugleich umeinander. Alternative Entscheidungslinien verbanden sich oder prallten aufeinander, gingen manchmal ineinander über oder stießen einander wieder ab – doch jedesmal wurden sie durch die gegenseitige Berührung für immer verändert. Vertraute Gesichter mischten sich unter unbekannte, glitten vor ihm vorüber oder flackerten hinter neuen Ereignissen am Rande seines Blickfelds auf. Er erhaschte einen Blick auf Wedge und das Renegaten-Geschwader, die im Schlachtgetümmel an ihm vorübersausten; er sah seine Jedi-Schüler, die in der Neuen Republik ausschwärmten und die Yavin-Akademie fast völlig verwaist zurückließen; sah sich selbst auf einer Terrasse vor der Wand einer im Dunkeln liegenden Schlucht stehen und auf ein Meer Tausender winziger Sterne hinabblicken; sah Han und Leia, die sich einem gewaltigen Mob entgegenstellten…
Han? Leia? Unter Mühen griff er nach diesem letzten Zukunftsstrang und versuchte, ihn lange genug festzuhalten, um mehr sehen zu können. Einen Augenblick lang hatte er Erfolg, und das Bild wurde scharf: Leia stand in einem breiten Korridor – ihr Lichtschwert sprühte Funken, während eine Flut von Leibern durch eine hohe Tür drängte – und blickte auf die Menge hinab. Der Aufruhr schob sich gedankenlos vorwärts; ein verborgener Scharfschütze auf einem Dach brachte sein Blastergewehr in Anschlag…
Und dann waren sie verschwunden und vergingen in der wirbelnden Masse von Bildern und Klängen. Einen Moment lang versuchte Luke sich dem Strom selbst anzuschließen; der Geschmack der Angst vermischte sich mit den anderen Sinneseindrücken der Vision, als er gleichsam Schritt zu halten und zu erkennen versuchte, was mit ihnen geschah. Aber sie blieben verschwunden, und mit einer Wahrnehmung, die ihren Ursprung außerhalb seiner selbst hatte, wurde ihm klar, daß er alles gesehen hatte, was diese Vision für ihn bereithielt. Er löste sich vorsichtig aus dem Strom und bahnte sich seinen Weg zu dem einzigen fixen Punkt im Sturm, der Stabilität seines eigenen Seins. Er hatte alles erfahren, und es war an der Zeit zu gehen. Er trat den Rückzug an, das ungeheure Aufgebot von Bildern wich im Gegenzug allmählich zurück und verblaßte.
Und dann erschien mit einem Mal eine letzte Vision vor ihm: Mara; umgeben von zerklüfteten Felsen, trieb sie im Wasser. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Arme und Beine schlaff. Wie im Tod.
Warte! hörte er sich rufen. Doch es war zu spät. Maras Abbild löste sich ebenso auf wie der Rest der Vision…
Luke schnappte nach Luft und fand sich plötzlich in seinem Zimmer wieder, wo er aus dem Fenster auf die Hügel starrte.
Hügel, die nicht länger golden leuchteten, sondern vom milderen Glanz der Sterne umrahmt waren.
»Wow«, murmelte er und rieb sich die Augen. Er hätte geschworen, daß seine Vision lediglich wenige Minuten gedauert hatte.
Neben ihm zwitscherte R2, offensichtlich erleichtert.
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