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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Gemächern noch den Gemächern irgendeines anderen Mannes je wieder einen Besuch abstatten.«

4
    Alice wickelte sich fest in den Mantel ein und ging zum Dachvorsprung. Vor ihren Stiefelspitzen fielen die Dachschiefer in einer steilen Kurve nach unten, darunter entrollte sich der Rasen vor dem Haus. Ein Mann überquerte ihn, eine kleinere, gebückte Lumpengestalt schlurfend hinter sich. Es war ihr Vater, der den Schauplatz seines künstlichen Vulkans besichtigte, dicht gefolgt von Sluce. Ihr Vater hatte darauf bestanden, dass man die Rasenstücke erneut verlegte, sobald die Mischung aus Schwefel und Eisenspänen vergraben war, und jetzt deutete nur eine gewisse Unebenheit und Ungleichmäßigkeit des Rasens darauf hin, dass man sich unter der Erde zu schaffen gemacht hatte. Das sowie die schlammigen Fußstapfen, die zu einem gewaltigen Erdhaufen und wieder zurück führten, der in dem Graben neben dem Grenzzaun in etwa dreißig Meter Entfernung entstanden war.
    Alice beobachtete, wie die beiden Gestalten den Umkreis des schlafenden Vulkans abschritten. Ihr Vater suchte eifrig den Boden ab. Sluce schlenderte gemütlich hinter ihm her, die Hände tief in seinen mnemonischen Taschen vergraben. Alle paar Schritte holte er einen langen, spitzen Stock aus einer Innentasche seines Mantels und stach auf Anweisung seines Herrn in den Boden, als durchbohrte er einen gewaltigen, langsam unter der Erde backenden Kuchen. Es blieb nur etwa eine Stunde Zeit, bevor sich die Gesellschaft im Ballsaal versammeln würde. Alice wusste, dass irgendwo unter ihren Füßen gewiss Dr. Cattermole durch die überfüllten Korridore ihres Vaters pirschte. Sie kehrte zu ihrem Sitzplatz im Windschatten eines Schornsteins zurück. Es fiele Cattermole im Traum nicht ein, auf dem Dach nach ihr zu suchen.
    Zum Schutz vor dem Wind in ihren Mantel zusammengekauert, hörte Alice nicht die Schritte, die über das Dach auf sie zukamen.
    »Tee?« Mr Blake stellte das Tablett an den Schornstein und goss zwei Tassen Tee ein. Erst sagte keiner von beiden ein Wort. Dann: »Tante Pendleton hat mir erzählt, dass sich Ihr Vater mit Ihnen unterhalten hat. Mit Dr. Cattermole.«
    Alice schloss die Augen. »Es sieht so aus, als würde ich Dr. Cattermoles erste Klitoridektomie.«
    Mr Blakes Tee schwappte auf seine Untertasse.
    »Selbstverständlich mit der Erlaubnis meines Vaters.«
    Der Fotograf starrte auf den Park hinaus. »Cattermole ist ein zielstrebiger Mann«, sagte er. »Wenn er etwas will.«
    »Und ich bin eine zielstrebige Frau«, sagte Alice.
    »Das bezweifle ich nicht. Aber Sie können sich nicht ewig hier oben verstecken. Wenn wir vielleicht Ihrem Vater eröffnen würden, dass wir heiraten werden?«
    »Es ist zu spät, als dass eine Heirat mich noch retten könnte«, sagte Alice. »Dr. Cattermole hat es selbst gesagt. Zweifellos würde er eine Operation für noch dringender erachten, wenn er erführe, dass ich so eigenwillig gewesen bin, einem Mann hinter dem Rücken meines Vaters den Hof zu machen.«
    »Diese Fotografien«, sagte Mr Blake einen Augenblick später. »Die Sie in meinem Schrankkoffer gefunden haben. Sind Sie sich darüber im Klaren gewesen, dass Cattermole … an ihrer Herstellung beteiligt gewesen ist?«
    »Dr. Cattermole ist schon viele Male in diesem Haus zu Gast gewesen. Es gibt hier weniger Privatsphäre, als man vielleicht annehmen könnte. Es ist leicht, einen Gegenstand zu vergessen – eine Mappe, einen Terminkalender, ein Notizbuch, ein Album voller cartes-de-visite –, wenn so viele Artefakte meines Vaters auf jeder freien Fläche in jedem Zimmer verstreut herumliegen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es schon lange. Und ich wusste, dass Sie sein Gimpel sind. Seine Frau lässt sich auch von ihm fotografieren.«
    »Wirklich?«
    »Mrs Cattermole hat es mir gegenüber sinngemäß zugegeben. Sie haben es nicht gewusst?«
    Mr Blake schüttelte den Kopf. »Ihr Vater muss das doch bestimmt missbilligen.«
    »Ich habe keine Ahnung. In letzter Zeit steht er auf so vertrautem Fuße mit Dr. Cattermole, dass schwer zu sagen ist, was die beiden im Schilde führen. Cattermole war für die Niederkunft meiner Schwester zuständig, müssen Sie wissen. Wenn sich solch ein Gemetzel als ›Niederkunft‹ bezeichnen lässt. Ich war gezwungen, als seine Gehilfin zu fungieren.« Alice schloss die Augen bei dem Gedanken an die dünnen weißen Finger des Arztes, die die Füße ihrer Schwester in den schrecklichen Steigbügeln am

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