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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Gekritzel des Arztes versehen waren.
    »Hier!«, rief er. »Dr. Baker Brown ist überaus gelehrt. Zum Beispiel der Fall von ›Miss T.S.‹. Zu ihren Symptomen gehörte, dass sie ›unhöflich zu Besuchern war, vorlaut und freimütig gegenüber Gentlemen, die von ihr so lange angestarrt wurden, bis sie die Fassung verloren, und dass sie viel Zeit mit ernster Lektüre verbrachte‹. Brown schreibt außerdem, es sei zudem berichtet worden, dass sie ›den Wünschen ihres Vaters in keinster Weise gehorche‹. Tja, Miss Talbot, können Sie abstreiten, dass diese Beiwörter Ihren eigenen Charakter und Ihr Benehmen beschreiben? Ihre eigene Lebensweise?« Er wandte sich zu Mr Talbot um und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Vielleicht sollte ich auch noch hinzufügen, dass man ›Miss T.S‹ in all ihren vierunddreißig Jahren keinen einzigen Heiratsantrag gemacht hatte.«
    Alice blickte zu Boden und schloss dann verzweifelt die Augen.
    »Aber das Heilmittel ist bekannt, oder etwa nicht?«, warf Mr Talbot ein. »Sie haben mir versichert, dass dem so ist.« Mittlerweile schweißnass, zupfte er nervös an den Ärmeln seines Mantels herum, die in der Hitze an seinen Armen klebten.
    »Es gibt mehrere Heilmittel.« Dr. Cattermole lächelte Alice zu. »Keine Angst, mein Kind, es gibt Wege, Sie zu jenem überaus willkommenen Zustand damenhafter Anmut zurückzuführen, der sich für das schöne Geschlecht ziemt. Ja, Brown schreibt, dass ›Miss T.S.‹ nach seinem chirurgischen Eingriff gänzlich verändert gewesen sei.«
    »Und was hat das mit mir zu tun?«, sagte Alice. Sie klang wütend, doch die Wörter »chirurgischer Eingriff« hallten in ihren Ohren wider, sodass sie das Beben in ihrer Stimme kaum unterdrücken konnte.
    Dr. Cattermole achtete nicht auf sie. Stattdessen wandte er sich an ihren Vater. »Doch zuerst wäre die Gesellschaft gewiss sehr daran interessiert, sie in ihrem derzeitigen Zustand zu sehen, Talbot.« Er betrachtete Alice gierig. »Vielleicht würden ein oder zwei Fotografien genügen, selbstverständlich mit der Erlaubnis Ihres Vaters. Die offene Feindseligkeit Ihres Gesichtsausdrucks ist symptomatisch für Ihr Leiden. Charcot in Frankreich hat zahlreiche geisteskranke Patienten fotografiert und ist sehr gelobt worden.«
    »Ich werde mich nicht fotografieren lassen«, sagte Alice. »Und ich bin ganz gewiss nicht geisteskrank.«
    »Wie sieht die Behandlung aus?«, sagte Talbot. Sein Gesicht war vor Hitze scharlachrot, sein Bart, der von Wassertröpfchen feucht war, baumelte wie ein Strang Louisianamoos von seinem Kinn. Er betrachtete Alice mit einer Mischung aus Angst und Sorge, als erwarte er, dass sie jeden Moment mit den Zähnen knirschen und ihre Kleidung in Stücke reißen könnte.
    »Der Geisteszustand der Frau ist mit ihren Geschlechtsorganen verbunden«, sagte Dr. Cattermole lebhaft. »Zu den Heilmitteln, um das Gemüt zu unterdrücken und auf diese Weise den überforderten Geist zu beruhigen, zählen das Injizieren von Eiswasser per rectum sowie die Anwendung von Blutegeln an Labia und Zervix.«
    Alices Haut wurde kalt, und ihr wurde schwindelig.
    »Um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten, die ansonsten zur Hysterie und anschließend zu hochgradigem Schwachsinn, Manie, sogar Tod führen würde, wird es häufig als notwendig befunden, die Klitoris zu entfernen«, sagte Dr. Cattermole.
    »Eine Operation!« Mr Talbot sah bestürzt aus, dann fasziniert. »Ist es ein großer Eingriff?«
    »Nicht größer als beispielsweise das Entfernen einer Fingerspitze.«
    »Na, dann.« Mr Talbot tätschelte Alice am Arm. »Du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen. Ja, Sluce hat sich die Spitzen von drei Fingern abgeschnitten, und es hat ihm nicht im Geringsten geschadet. Cattermole, mein lieber Freund, können Sie mir versichern, dass Sie solch eine Operation schon einmal durchgeführt haben?«
    »Das habe ich nicht, aber ich möchte unbedingt. Es wäre eine neue Herausforderung für mich, doch ich weiß ja, mit welcher Begeisterung Sie, Talbot, die Grenzen unseres Wissens und unserer Erfahrungen erweitern.«
    »Oh, in der Tat. Besonders wenn es eine Garantie für die Ergebnisse gibt. Sie sind sich doch sicher, dass es erfolgreich sein wird?«
    »Ich habe noch nie gehört, dass die Krankheit im Anschluss an eine solche Operation wiederkehrt«, sagte Dr. Cattermole und strich mit den Spitzen seiner langen, bleichen Finger langsam über den Einband seines Buches. »Sie würde weder Mr Blakes

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