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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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das vielleicht nur der Geschmack nach Blut und Staub war, den er sich kurz zuvor von den Lippen geleckt hatte. Er sah zu, wie Lilian eine Handvoll Stöcke ins Feuer warf. Warum wollte sie ihn nicht trösten? Sah sie denn nicht, dass er Schmerzen litt? Ihm tat alles weh. »Wo soll ich schlafen?«, fragte er und verfolgte mit hoffnungsvollen Blicken, wie sie eine Rolle Bettzeug auspackte.
    »Wo immer Sie möchten.«
    Mr Hunter grinste. »In dem Fall …«
    »Solange es nicht hier bei mir ist.«
    »Lily, bitte …« Er bedachte sie mit einem flehenden Blick. Sie wirkte so distanziert und unerreichbar.
    Sie warf ihm eine Decke zu, goss dann warmes Wasser aus dem Topf auf dem Feuer in einen Feldkessel und kam auf ihn zu. Mithilfe eines Streifens, den sie von den Überresten seines Hemdes abgerissen hatte, wusch sie ihm das Gesicht, wischte das Blut fort, das in schwarzen Krusten überall in seinen Haaren und an seinen Wangen und Augenbrauen geronnen war.
    Mr Hunter saß reglos und schweigend da, während Lilian ihn abtupfte. Er fragte sich, ob er die Gelegenheit, die dieser Akt der Zärtlichkeit ihm bot, ergreifen und Lilians Taille umschlingen sollte … doch etwas sagte ihm, dass das keine so gute Idee wäre. Außerdem war ihm schwindelig, und er war sich nicht sicher, ob er solch einen Bewegungsablauf erfolgreich absolvieren könnte, ohne bewusstlos über dem Feuer zusammenzubrechen. Folglich gab er sich damit zufrieden, sie verträumt anzusehen und die Weichheit ihrer schmutzigen Wange und ihre geschwungenen Lippen zu bewundern, als sie sich über sein Gesicht beugte. Er stieß ein zufriedenes Seufzen aus, sodass ihr sein nach Brandy riechender Atem ins Gesicht schlug. Lilian wischte ihm rasch das letzte Blut von der Stirn.
    Er sank auf seine Decke zurück. Lilians Gesicht schien über ihm zu schweben, wie ein gütiger Mond an einem dunklen und unruhigen Himmel. Hatte er um ihre Hand angehalten? Er entsann sich nicht. Er hatte so lange darüber nachgedacht, dass er sich jetzt, da er dumpfe Kopfschmerzen hatte und ihm alles vor den Augen verschwamm, beinahe sicher war, es getan zu haben. »Wollen Sie mich heiraten, Lily?«, murmelte er, nur um ganz sicherzugehen.
    Lilian legte ihm eine kalte, feuchte Hand auf die glühende Stirn.
    Mr Hunter wiederholte die Frage. Jedenfalls versuchte er, sie zu wiederholen, doch er konnte kaum die Lippen bewegen, und die Worte schienen ihm auf der Zunge zu kleben. Diesmal verstand nicht einmal er den Satz, den er hervorgebracht hatte. Wieder zitterte er. Er starrte zu ihr empor, doch ihr Gesicht schien jetzt in weiter Ferne zu sein. Er sah, wie sie ihren Turban absetzte und ihre Haare löste, sodass sie ihr wie kleine Wellen sonnenbeschienenen Wassers über die Schultern flossen. Wie wunderhübsch sie war! Wollte sie sich denn nicht einfach neben ihn legen, um ihn zu wärmen? Er seufzte glücklich und stellte zu seiner Überraschung fest, dass er sie nicht länger begehrte, sondern einfach zufrieden war, in ihrer Gesellschaft zu sein. Die Schmerzen in seiner Schulter hatten nachgelassen, und das pochende Gefühl in seiner Nase und seinem Kopf schien völlig verschwunden zu sein. Stattdessen waren diese körperlichen Beschwerden von einem wohlig trägen Gefühl abgelöst worden, das ihn wie ein warmes, beruhigendes Bad zu umhüllen schien. Er schloss die Augen, als er spürte, wie Lilians Hand seine Stirn streichelte. Er wollte Lilian berühren, ihre Finger küssen oder sie an sich ziehen, doch er konnte kaum den Arm heben. Er spürte noch einmal den Rand der Brandyflasche an den Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Danach spürte er gar nichts mehr.
     
    Am folgenden Tag ging es Mr Hunter nicht besser. Wenn überhaupt, hatte sich sein Zustand verschlechtert. Dank des Brandys, den er getrunken hatte (und der einen Schuss Opium enthielt), hatte er die ganze Nacht tief und fest geschlafen. Ja, so tief und fest, dass es Lilian schwergefallen war, ihn zu wecken.
    »Sie sehen schrecklich aus.« Sie reichte ihm einen Zinnbecher mit starkem, schwarzem Tee.
    Er sagte nichts. Ihm war abwechselnd siedend heiß und eiskalt. Er trank den Tee schlückchenweise und aß von dem Reis, den sie letzte Nacht gekocht hatte.
    »Können Sie reiten?«, fragte Lilian, nachdem sie alles weggepackt hatte.
    Seine Schulter war so steif, dass er den Arm kaum bewegen konnte. Lilian half ihm, den Rock des toten sepoys anzuziehen. »Bloß für den Fall, dass wir einem Ihrer Kameraden begegnen«, sagte sie.
    Sie kamen

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