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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Arzt zurückkehren sollten. In dem Raum wimmelte es von Männern – sie redeten, nickten, deuteten mit knochigen Fingern auf aufgeschlagene Bücher oder hielten einander Papierrollen unter die Nasen. Die verhalteneren Mitglieder der Gesellschaft liefen ziellos um die Artefakte ihres Vaters herum, betrachteten die verschiedenen Stücke voll Interesse oder starrten trübe in das schwimmende Formaldehyd von Dr. Cattermoles Museum menschlicher Körperreste. Manche hielten Teetassen in der Hand, auch wenn Alice nicht wusste, wie ihr Vater es ohne Sluces Hilfe geschafft hatte, Erfrischungen für so viele Leute zu organisieren. Sie spähte durch die Tür und suchte nach Mr Blake, konnte ihn jedoch nirgends erblicken. Allmählich richteten sich ein paar neugierige Blicke auf sie. Alice eilte fort.
    Sie hielt auf das Treibhaus zu. Der Dschungel aus Blätterwerk würde ihr Deckung bieten. Als die Treibhaustüren geräuschlos hinter ihr zuschwangen, umhüllte sie die schwere Atmosphäre wie die Umarmung einer Mutter. Das Tropf-Tropf-Tropf des Wassers zählte die Sekunden in beruhigender Stille. Tief aus den blättrigen Eingeweiden des Wintergartens vernahm sie die sanften Stimmen ihrer Tanten, das leise Klappern von Teelöffeln auf Untertassen. Als Alice durch das Grün eilte, stellte sie geistesabwesend fest, dass mittlerweile fast alle Bodenfliesen Risse aufwiesen, dass sie zerborsten und verzogen und verkrümmt wie Pappe waren, als könnten sie nicht länger dem muskulösen Empordrängen unterirdischer Wurzeln widerstehen. Hier und dort waren die Eisengitter über den Heißwasserrohren von überschüssigen Wurzelablegern umschlungen, die sich an das Gitterwerk klammerten wie die rauen Finger eines ausbrechenden Gefangenen. Es war, als stünde das gesamte Gebäude kurz davor zu zerbersten. Alice zuckte zusammen, als ihr ein Gummibaum mit einem gewaltigen ruderförmigen Blatt auf den Hinterkopf schlug. Wie die Tanten es dieser Tage durch ein derartiges Gewirr schafften, war ihr ein Rätsel. Und doch waren sie hier und saßen in ihrem Dschungelsalon, während das Lampenlicht trübe durch das Grün sickerte, wie Sonnenstrahlen die dunkleren Tiefen eines unkrautüberwucherten Teiches durchdringen mochten.
    »Alice, mein Liebes«, sagte Tante Statham, die sie durch die Düsterkeit anstarrte. »Da bist du ja.«
    »Alice, dein Vater sucht nach dir«, sagte Tante Rushton-Bell.
    »Mit diesem widerwärtigen Dr. Cattermole«, sagte Mrs Talbot die Ältere.
    Alice sagte nichts.
    »Sie haben etwas mit dir vor«, sagte Tante Lambert. Sie musterte Alice eingehend. »Irgend so ein Einfall von Cattermole. Mrs Statham hat sie belauscht. Weißt du, worum es geht? Alice, mein Liebes, du musst dir von uns helfen lassen.«
    »Ich glaube nicht, dass mir überhaupt jemand helfen kann«, sagte Alice hoffnungslos. »Abgesehen vielleicht von Mr Blake.«
    »Der hat auch nach dir gesucht«, sagte Tante Rushton-Bell, die ihre Karten mischte. »Vor nicht einmal zehn Minuten.« Sie wölbte eine Hand über ihr Ohr. »Stimmt etwas nicht?«
    Alice öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Sie ließ eine Hand in ihre Tasche gleiten, sodass ihre Finger die schmierige Umhüllung von Sluces Spiegelglasbild berührten. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte.
    »Mr Blake scheint dich gernzuhaben, Alice«, sagte Tante Statham. »Aber weißt du, mein Liebes, du musst auf der Hut sein. Männer wollen immer mehr, als sie vorgeben. Es wäre besser für dich, dich stattdessen uns anzuvertrauen. Wir wollen bloß, dass du glücklich bist.«
    »In der Tat, Tante«, sagte Alice. Doch sie hatte ein Geräusch im Blätterwerk gehört. Sie trat einen Schritt zurück, wobei sie mit dem Absatz auf Tante Pendletons Hörrohr stieg.
    Die Bambuswand, die Alices Schreibpult mittlerweile ebenso wirksam wie ein Gartenzaun verbarg, bewegte sich von einer Seite auf die andere. Ein zerzauster Mr Blake brach hervor wie ein Rebhuhn, das man aus einem Getreidefeld aufgescheucht hatte. »Alice«, sagte er atemlos. »Miss Talbot. Gott sei Dank habe ich Sie gefunden! Ich habe überall nach Ihnen gesucht.«
    »Sluce hat mich entdeckt«, sagte Alice. »Ich habe Cattermole und meinen Vater belauscht, sie haben ein Zimmer für mich vorbereitet. Dr. Cattermole hat vor, so bald wie möglich zu operieren. Er hat die notwendige Ausrüstung hier. Er sagt, dass Sie ihm zur Hand gehen sollen, als sein Gehilfe – sein Anästhesist und sein Fotograf. Er möchte Bilder von dem Eingriff machen. Er

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