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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Tante Statham. »Ich habe Talleyrand gekannt, wisst ihr, als ich noch ein Mädchen war.«
    Die Tanten betraten den Ballsaal. Die anwesenden Männer saßen vor dem Rednerpult. Dahinter ließ sich gerade Mr Talbot aus. »Die Mischung ist recht einfach«, sagte er. »Schwefel und Eisenspäne werden zu gleichen Teilen mit Wasser gemischt und unter der Erde vergraben. Die Hitze der Sonne, zusammen mit der Wärme, die sich in einer Tiefe von ein paar Metern in der Erde findet, reicht im Allgemeinen aus, um die Reaktion in Gang zu setzen. Sobald die Reaktion einmal in Gang ist, entwickelt sie eine Eigendynamik.« Hinter ihm, von Dr. Cattermoles Laterna magica an die Wand projiziert, war das Gemälde des ausbrechenden Ätnas.
    »Ich selbst bin vor einigen Jahren in den Krater ebendieses Vulkans hinabgelassen worden«, rief Mr Talbot und deutete mit der Hand aufgeregt auf das Bild. »Eine überaus interessante Erfahrung, die auch in meiner unveröffentlichten Monografie ›Wissenschaftliche Sehenswürdigkeiten in Süditalien‹ Erwähnung findet.« Er verstummte und betrachtete stirnrunzelnd die Prozession betagter Damen, die den Gang zwischen den besetzten Stuhlreihen auf ihn zugewankt kam. Köpfe drehten sich, weil man sehen wollte, worum es sich bei der Ablenkung handelte.
    »Was ist denn, Mutter?«, sagte Mr Talbot ungeduldig. Er starrte Tante Lambert wütend an, ohne sich jedoch direkt an sie zu wenden. »Kann es nicht warten?«
    »Nein, es kann ganz gewiss nicht warten«, versetzte Tante Lambert brüsk. Die Tanten blieben neben der Laterna magica stehen. Tante Lambert wandte sich an Tante Rushton-Bell. »Eliza, Liebes, hast du es?«
    Vonseiten der Mitglieder der Gesellschaft machte sich lautstark empörte Verwirrung breit.
    »Wirklich, Talbot, altes Haus«, sagte eine Stimme, »das ist völlig untragbar. Bestimmt sind Ihnen die Bestimmungen der Gesellschaft bezüglich der Anwesenheit von Frauen bei unseren Treffen bekannt?«
    »In der Tat!«, brüllte Mr Talbot. »Mutter, sei so gut und verschwinde, und nimm deine Schwestern mit.«
    »Moment!«, rief Tante Lambert. »Eliza, wenn ich bitten darf.«
    Tante Rushton-Bell, die in ihrem Rollstuhl hing wie Guy Fawkes in einem Schubkarren, kramte in ihren Röcken herum. Endlich zog sie eine Hülle aus schmutzigem Wachstuch hervor. Sie reichte sie Tante Lambert.
    Tante Lambert reichte das Päckchen Tante Statham. »Warte, bis ich Position bezogen habe«, zischte sie. »Und wenn ich dir das Zeichen gebe« – sie hob ihren Stock und klopfte zweimal damit auf den Boden –, »weißt du, was zu tun ist.«
    »Meine lieben Tanten …«, rief Mr Talbot mit karmesinrotem Gesicht.
    »Oh, sei still, Edwin«, sagte Tante Lambert, die neben ihn auf das Podium stieg. Sie räusperte sich und blickte auf das Meer an Gesichtern. Tante Lamberts Augen und Ohren waren nicht so gut, wie sie es einst gewesen waren, und so war sie sich weder der feindseligen Blicke ihres Publikums noch des unruhigen Gemurmels bewusst, das jetzt durch die Luft schwirrte wie das Summen eines aufgescheuchten Bienenstocks.
    »Was ich zu sagen habe, ist im Interesse von Ihnen allen«, setzte sie an, wobei sie ihren Stock durch die Luft schwenkte. »Ihnen allen ist Dr. Cattermole bekannt, nicht wahr? Ein Mann, der als ehrlicher Bursche mit hehren Grundsätzen gilt, immerhin ein Arzt und ein Mann der Wissenschaft, dessen Suche nach der Wahrheit, dessen Wissensdrang Sie sowohl inspiriert wie auch in Entzücken versetzt hat.« Das unbehagliche Dröhnen flaute zu einem neugierigen Gemurmel ab. Tante Lambert schlug mit verdorrten Fäusten auf das Rednerpult ein. »Lügen!«, rief sie. »Meine Herren, man hat Sie in die Irre geführt.«
    Man keuchte erstaunt auf. Es war klar, dass sie jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit hatte, und als Mr Talbot sie am Arm packte und vom Podium führen wollte, ertönten Laute des Unmuts.
    Tante Lambert stieß Mr Talbot mit dem Ende ihres Stockes von sich. »In die Irre geführt, meine Herren, und auf schmerzlichste Weise betrogen!«, schrie sie. »Aber nicht mehr länger.«
    »Ist es jetzt so weit?«, rief Tante Statham von ihrem Standort neben der Laterna magica.
    »Noch nicht«, sagte Tante Lambert.
    »Noch nicht!«, kreischte Tante Pendleton.
    »Ich kann es beweisen«, rief Tante Lambert. »Meine Herren, der Mann, den Sie für einen Mann des Wissens und der Gelehrtheit halten, der Mann, von dem Sie glauben, er wolle Ihr Wissen über die Natur erweitern, der Mann, der von sich behauptet, in

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