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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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sie sind beinahe schlimmer als fortwährende Schlaflosigkeit. Manchmal erwache ich völlig erschöpft.« Seufzend fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Vielleicht liegt es an der geraumen Zeit, die ich in der Leichenhalle zugebracht habe. Vergangene Nacht habe ich, wie Sie schon angedeutet haben, ein wenig Äther zu mir genommen – die Reste einer Flasche, die sich in meiner Tasche befand. Doch er zeitigte keine spürbare Wirkung – den zeitweiligen Verlust motorischer Kontrolle, sicher, aber der Schlaf entzog sich mir. Ich glaube, ich habe ein paar Minuten das Bewusstsein verloren – ich bin mir beinahe sicher, dass ich geträumt habe –, aber es war wohl kaum ausreichend und in keinster Weise erholsam.«
    »Was haben Sie geträumt?«, fragte Alice nach kurzem Schweigen.
    »Ach, nichts, woran ich mich erinnern könnte.« Er errötete. Er konnte ihr nicht erzählen, dass er eindringlich und intensiv von einer atemlosen Begegnung mit Mrs Cattermole geträumt hatte. Er war verschwitzt und entnervt aufgewacht, und sogar noch erschöpfter als sechs Stunden zuvor, als er ins Bett gestiegen war. »Sie müssen mich für wahnsinnig halten, Miss Talbot«, murmelte er und nippte am Rest seines Wassers.
    »Ganz und gar nicht, Mr Blake«, sagte Alice besänftigend. »Ganz und gar nicht.«

2
    Im Laufe der folgenden Woche machten Mr Blake und Alice beträchtliche Fortschritte beim Fotografieren der Sammlung. Alice schlug vor, den Wintergarten nur für tragbare Gegenstände zu benutzen. Der Rest der Sammlung war, wie Mr Blake festgestellt hatte, zu unhandlich, um sich leicht transportieren zu lassen. Unter Alices Anweisung hatten sie zwei gewaltige weiße Schirme angefertigt – aus Bettlaken, die sie über Holzrahmen spannten –, die sie durchs Haus trugen und als Hintergrund hernahmen und die, zusammen mit einem großen Spiegel aus Mr Blakes Ankleidezimmer, als Lichtreflektoren dienten. Beide stimmten darin überein, dass das Licht im Wintergarten allem weit überlegen war, was sich in den überfüllten Zimmern und Gängen des Großen Hauses finden ließ, doch es war das Beste, was sie tun konnten. Dann schafften sie Mr Blakes tragbare Dunkelkammer heran, um sogleich entwickeln zu können, auch wenn es oft schwierig war, den nötigen Platz für ihre Errichtung zu finden, ohne genau das Licht zu versperren, das einzufangen sie bemüht waren.
    Der Äther und die Schießbaumwolle zur Beschichtung der Platten wurden in dem beengten Raum der tragbaren Dunkelkammer gemischt. Trotz des komplizierten Heizungssystems, das Mr Talbot im Haus installiert hatte, war es notwendig, das daraus resultierende Gemisch über kleiner Flamme zu erwärmen, bis es so flüssig war, dass sich damit eine Seite einer Glasplatte rasch und ebenmäßig überziehen ließ. Dann steckte Mr Blake die beschichtete Platte in seine Kamera. Nachdem die Fotografie geschossen war, schlüpfte einer von ihnen zurück in das dunkle Zelt und kümmerte sich um die Entwicklung der Abbildung. Sobald dies geschehen war, fing der ganze Prozess wieder von vorn an. Es war knifflig, beschwerlich und zeitraubend, und im Laufe des Tages wurde die Atmosphäre in dem Zelt zunehmend schwül und beklemmend. Mr Blake hatte das Gefühl, seit Monaten nicht mehr an der frischen Luft gewesen zu sein.
    Anfangs hatte er sich gefragt, ob es klug sei, sich mit einer jungen Frau in das dunkle Zelt zu quetschen. Einer nicht sonderlich attraktiven jungen Frau, wie er insgeheim beteuerte, allerdings einer, der er zu seiner eigenen Überraschung immer mehr gefallen wollte. Doch Alice schien sich nicht der geringsten Unschicklichkeit bewusst zu sein, und da Mr Blake nicht prüde erscheinen wollte, sagte er nichts. Ab und an fragte er sich, ob Mr Talbot klar gewesen war, dass die Hilfe seiner Tochter bei dem Projekt notwendigerweise an so einem intimen, wenn auch übel riechenden Ort stattfinden würde.
    Im Laufe der Tage wuchsen Mr Blakes Bedenken jedoch. Er sagte sich, es läge einfach an der Wirkung der Chemikalien, die er jeden Tag einatmete, doch Tatsache war, dass er sich nur schwer auf das, was er gerade tat, konzentrieren konnte, wann immer sich Alice in dem Zelt neben ihm befand. Das Zelt war im Grunde eigentlich nur groß genug für einen, und wenn sie sich beide darin aufhielten, drückten Alices Röcke gegen seine Beine, ihre Haare kitzelten seine Wange, und er konnte trotz des Gestanks nach Chemikalien ihren Duft riechen. Es ging ihm einfach nicht aus dem Sinn, dass er sich

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