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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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sie. War dies die Reaktion eines Mannes, der eine ehebrecherische Liebesaffäre unterhielt? Vielleicht war Mr Blake gar nicht der Lüstling, der er laut den Gerüchten war. Und dennoch gab es da den Schrankkoffer, den sie gefunden hatte, zurückgelassen im Ballsaal neben der Vitrine mit chinesischen Vasen und dem funktionierenden Modell eines Kohlenbergwerks, das ihr Vater am Ende der Weltausstellung erworben hatte. Zweifellos handelte es sich um den Schrankkoffer, nach dem Mr Blake seit seiner Ankunft gesucht hatte. Natürlich hatte sie ihn geöffnet und einen Blick hineingeworfen. Sollte sie das auch erwähnen? Mr Blake war nicht ganz das, was er zu sein schien. Sie betrachtete sein Profil, während er über den Park hinaus in die Ferne starrte, wo verschwommen die Dächer von Bispham St Michael zu sehen waren. Seine Miene war so kummervoll, dass sie nicht anders konnte als zu lachen. Sie hielt sich den Mund mit der Hand zu und versuchte, sich etwas Amüsantes einfallen zu lassen.
    »Genau was ich brauche!«, rief plötzlich eine Stimme über ihnen.
    Alice und Mr Blake sprangen auf. Zwischen den Schäften zweier gewaltiger Schornsteine lugte ein Gesicht zu ihnen herab. Es war das Antlitz eines Mannes, gelb und unbehaart, die trockene und papierne Haut fest über die Schädelknochen gespannt. Das Gesicht verzog sich zu einem entzückten Lächeln, sodass eine Reihe kaputter, brauner Zähne zum Vorschein kam. »Zwei zusätzliche Paar Hände«, sagte die Gestalt. »Perfekt.«
    »Hallo, Mr Bellows«, sagte Alice. »Das hier ist …«
    »Mein Kollege, der Fotograf, ja, ich weiß«, sagte Mr Bellows. »Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir.« Ein dünner Arm erschien zwischen den Schornsteinen. »Jacob Bellows, Erfinder.«
    »Henry Blake«, sagte der Fotograf und schüttelte die zerlumpte Klaue, die ihm entgegengestreckt wurde.
    »Ich bin der Konstrukteur, der Architekt und der Ingenieur einer der größten Erfindungen der Menschheit!«, rief Mr Bellows ohne weitere Einleitung. »Das heißt, ich bin der Schöpfer der ersten aeronautischen Maschine der Welt. Ja, ich kann Ihnen zu meiner Freude sagen, dass ich so gut wie fertig bin. Binnen weniger Minuten werde ich fliegen, falls es mir nur gelingt, zwei junge Leute wie Sie zur Mithilfe zu gewinnen.« Er blinzelte ihnen aus Augen zu, die so wässrig wie Austern waren. »Sie sehen stark und kompetent aus. Mehr ist nicht nötig. Ich kriege das Ding mithilfe eines gewaltigen vulkanisierten Gummibandes in die Luft – außerordentliches Zeug, wissen Sie, wunderbar elastisch und nie spröde. Dieser Gummiriemen muss um diese Schornsteinkästen geschnallt werden, als eine Art Katapultmechanismus, um die Maschine in die Luft zu schleudern. Die Flügel, das Heck und der leichte Rumpf sind dazu bestimmt, auf den Luftströmungen zu treiben. Es gleitet wohl mehr, als dass es fliegt, andererseits bin ich mir sicher, dass Flügelschlag nicht der beste Mechanismus für den Flug eines Menschen darstellt, auch wenn er sich offensichtlich für unsere gefiederten Freunde eignet. Wenn Sie bitte hier entlang kämen.«
    »Jetzt?«, fragte Alice.
    Mr Bellows rieb sich die Hände, was ein Geräusch verursachte, als scheuere Sand gegen Holz. »Jetzt«, sagte er.

3
    Alice und Mr Blake folgten Mr Bellows über das Dach.
    »Ich habe meine Flugmaschine in Einzelteilen nach oben gebracht«, sagte er über seine Schulter. »Heute ist der Wind ideal für einen Testflug – stark, anhaltend, aus dem Westen. Ich habe Sluce auf dem Sodgers Hill postiert. Er soll die Ankunft der Maschine abwarten. Wenn alles gut geht, besagen meine Berechnungen, basierend auf der Windgeschwindigkeit, dem Gewicht der Maschine, der Höhe des Gebäudes et cetera, dass wir mindestens eine Meile in der Luft zurücklegen sollten. Das heißt, wir sollten direkt zu Sluces Füßen landen.«
    Er führte sie zwischen zwei Schornsteinkästen hindurch, die sich wie Hände von dem weiten, flachen Dach erhoben. »Dieser Riemen muss an den Schornsteinkappen da und dort drüben befestigt werden. Dann wird er unter der Flugmaschine festgehakt. Sie müssen sichergehen, dass der Riemen an beiden Enden sicher befestigt ist und dass die Enden jeweils auf genau die gleiche Art und Weise festgemacht sind, um einer Verdrehung oder ungleichen Gewichtsverlagerung vorzubeugen. Dann verwenden Sie diesen Aufziehmechanismus hier, um die Flugmaschine zurückzuziehen, sodass sie in ihrer Schleuder sitzt wie ein Wurfgeschoss in einem Katapult. Bei drei

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